Kommentar: Verbotsdebatte hilft der Sekte

Ein Verbotsverfahren macht die Sekte wichtiger als sie ist - und könnte ihr womöglich den Zuwachs verschaffen, den die Innenminister verhindern wollen.

Es dürfte kein Zufall sein, dass die Anregung für ein Verbotsverfahren gegen Scientology ausgerechnet aus Hamburg kommt, flankiert von den Innenministern aus Bayern und Baden-Württemberg. In der boomenden Hafenstadt und im reichen Süddeutschland hat die Sekte derzeit den größten Zulauf. In Berlin hingegen bleibt sie mit nicht einmal 600 Mitgliedern winzig - trotz des neuen Glaspalasts in Charlottenburg, in dem sich seit knapp einem Jahr die Deutschlandzentrale befindet. Ein möglicher Grund: Den notorisch klammen BerlinerInnen ist die Mitgliedschaft in der Psychosekte zu teuer.

Angesichts einer Sekte, die eine totalitäre Ideologie vertritt, die freiheitliche demokratische Ordnung ablehnt und ihre Mitglieder psychisch unter Druck setzt, sobald sie versuchen auszusteigen, mag die Frage der Kosten banal sein. Ist sie vielleicht auch. Die Gründe, die für ein Verbotsverfahren aufgeführt werden, sind aber noch banaler.

Obwohl Promis wie Tom Cruise und John Travolta für diese Sekte werben, hat Scientology seit der Gründung ihrer ersten Niederlassung 1970 in Deutschland nie Massen an sich binden können. Auf gerade einmal 6.000 Mitglieder schätzt das Bundesamt für Verfassungsschutz ihre Mitgliederzahl bundesweit. Damit reiht sich die Organisation zahlenmäßig in Oshos Neo-Sannyas-Bewegung ein, eine Gruppe, die auch niemand kennt.

Gerüchten über eine angebliche "Ausbeutung ihrer Mitglieder" muss nachgegangen werden. Falls der "totalitäre Charakter" der Organisation tatsächlich zum Tragen kommt, hilft das Strafrecht.

Ein Verbotsverfahren macht die Sekte aber wichtiger, als sie ist - und könnte ihr womöglich erst den Zuwachs verschaffen, den die Innenminister so dringlich verhindern wollen. Das wäre bedauerlich.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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