Die Großherzöge vom Straßenstrich vor Gericht
: Rot gesehen, Haft gekriegt

Die Oranienburger Straße gilt laut Insidern als sehr lukrativer Straßenstrich. Nach Erkenntnissen der Polizei war dessen unangefochtener Chef mehr als ein Jahrzehnt der Boxpromoter, Gastronom und Sportstudio-Betreiber Winfried S. (56). Im vergangenen Jahr entbrannte ein Verteilungskampf zwischen einem Motorradclub und diversen Lagern der als „Berliner Jungs“ bezeichneten Zuhälter. Den Höhepunkt bildete eine Auseinandersetzung, bei der S. von vier Männern schwer verletzt wurde. Anschließend verprügelten sie noch drei weitere Männer aus seinem Umfeld. „Vier Herren mussten ins Krankenhaus“, sagt der Staatsanwalt vor Gericht. Die vier, die sie dorthin befördert hatten, wurden am Mittwoch vom Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe dazu zu Haftstrafen zwischen 16 und 34 Monaten verurteilt.

Am späten Abend des 8. Januar trainierte S. in seinem Friedrichshainer Sportstudio. Er habe gerade am Sandsack geboxt, als die vier Angeklagten in dem Raum stürzten. „Ich hatte zwei Sekunden. Da konnte ich gerade einen der Boxhandschuhe ausziehen“, sagt S. vor Gericht. Dann hätten die vier wortlos auf ihn eingeschlagen. Zuerst habe er Thomas Gu. (47) erkannt, dann Andreas „Container“ G. (51), der so genannt wird, weil er eine Containerfirma besitzt. Andreas G. habe ihn mit der Hantelstange attackiert, wobei er es vor allem auf die Knie- und Armgelenke abgesehen hätte. Noch während des Überfalls habe ein Bekannter von S. den Raum betreten. Die Meute sei sofort über den zufälligen Besucher hergefallen. Als sie weg waren, riefen S. und sein Bekannter den Notarzt. So kam Winfried S. zu seinem Status als Nebenkläger in einem Gerichtsverfahren – eine Rolle, die Männer aus dem Milieu äußerst selten spielen.

Neun Verhandlungstage mühte sich das Gericht um die Erhellung der Hintergründe. Doch weder die Angeklagten noch das Opfer wollen diese genauer ausbreiten. „Den Grund kann ich mir nicht erklären“, sagt S. dem Gericht. Ein Beamter vom LKA beschreibt ein mögliches Szenario: Im Dezember wurde das „Zille-Eck“ nahe der Oranienburger Straße, Hauptquartier der „Berliner Jungs“, von 20 Leuten überfallen. Die Einrichtung wurde zerschlagen, die Anwesenden verprügelt – nur S. bekam nichts ab. Da stimme etwas nicht, stellte „Container-Andi“ fest. Als er kurz danach vom Rotlicht-König Geld zurückforderte, ließ S. ihn verprügeln.

In diese Zeit fiel eine sogenannte Gefährdeten-Ansprache durch einen Beamten der Polizei, der Andreas G. eindringlich aufforderte, keine Straftaten zu begehen: Nicht morden, nicht brandschatzen, nicht S.’ Kinder entführen. Doch eins soll der Polizist nicht erwähnt haben: den Kampf Mann gegen Mann. Der sei quasi von behördlicher Seite genehmigt, will G. nun kombiniert haben. Darum sei er in jener Nacht losgezogen, sagt er dem Gericht. Seine muskelbepackten Freunde sollten ihn begleiten, denn er befürchtete, S. würde Waffen einsetzen. Die Angeklagten hätten schusssichere Westen und Quarzsandhandschuhe angelegt und den fairen Zweikampf gesucht. Sie seien aber sofort von S. mit einer Hantel angegriffen worden.

Hätte das Gericht ihnen geglaubt, wäre ihnen nur einfache und keine gefährliche Körperverletzung vorgeworfen worden. Die Strafen wären erheblich milder ausgefallen. „Die Wahrheit liegt in der Mitte“, sagt die Amtsrichterin. Allerdings sprechen S. Verletzungen gegen die Angeklagten: Der Box-Promoter wies an allen vier Gelenken starke Überdehnungen auf. S. musste fixiert worden sein, bevor der Hebel an seine Gelenke gesetzt wurde. Dies sei in einem fairen Zweikampf unmöglich.

„Beide Seiten haben Grund, die Unwahrheit zu sagen“, meint der Staatsanwalt. „S. muss seinen Ruf als starker Mann wahren und Andreas G. den als fairer Zweikämpfer.“ Eine Wirkung hat der Überfall jedoch: S. ist nicht mehr der König der Oranienburger Straße, er musste sein Revier teilen. „Es gibt jetzt zwei Großherzöge“, kommentiert der Staatsanwalt. Der zweite ist „Container-Andi“ – und offenbar will er in Berufung gehen. UTA EISENHARDT