„Das ist kein Grund zum Feiern“

ANTI-DEUTSCHLAND Antinationalisten kritisieren die Feierlichkeiten rund um den 9. November. Am Samstag gehen sie daher auf die Straße – zum Demonstrieren

Die 23-jährige Studentin ist seit anderthalb Jahren bei der Naturfreundejugend Berlin aktiv. Die Demonstration „Es gibt kein Ende der Geschichte“ startet am Samstag um 16 Uhr am Checkpoint Charlie.

taz: Frau Hoff, Sie veranstalten eine Gegendemo zu den offiziellen Feierlichkeiten um den 9. November. Wieso?

Dörte Hoff: Was gefeiert wird, sind ja 20 Jahre Mauerfall. Die Feier stellt den Höhepunkt im sogenannten Superjubiläumsjahr 2009 dar. Unserer Meinung nach wird hier eine Geschichte von Freiheit und Wohlstand seit 1945 inszeniert. Was davor war, wird ausgeblendet. Denn am 9. 11. sind ja noch andere Dinge passiert – zum Beispiel die Reichspogromnacht 1938. Das wird praktischerweise von dem Mauerfall überdeckt. So müssen sich die Deutschen nicht der NS-Vergangenheit stellen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte vor 1945 findet nicht statt, sie erschöpft sich in der Regel in Ritualen und Lippenbekenntnissen.

Sie wehren sich also dagegen, dass einseitig erinnert wird?

Wir kritisieren vor allem, dass versucht wird, die Deutschen mit ihrer Nation zu versöhnen.

Was ist daran schlecht?

Es suggeriert einen sogenannten aufgeklärten, positiven Nationalismus. Unserer Meinung nach muss Nationalismus immer kritisiert werden, weil er dazu dient, ein Einheitsgefühl heraufzubeschwören. Aber diese Einheit bedeutet immer auch den Ausschluss vermeintlich anderer.

Wer wird ausgeschlossen?

In erster Linie Menschen, die nicht zum vermeintlichen Kollektiv gehören, zum Beispiel jüdische oder schwarze Deutsche. Aber auch Asylsuchende und sogenannte Ausländer werden permanent in ihrer Existenz bedroht. Abschiebungen stehen in Deutschland auf der Tagesordnung.

Richtet sich die Demonstration also in erster Linie gegen die offiziellen Feierlichkeiten oder gegen das, was dahintersteckt?

Die Feierlichkeiten sind ja Mittel zum Zweck. Uns geht es darum, zu zeigen, was damit eigentlich gewollt ist. Es soll vermittelt werden, dass nach dem Mauerfall alle Deutschen in Freiheit und Einheit leben. Aber beides ist eine Farce. Denn in der kapitalistischen Gesellschaft, in der wir leben, besteht der Zwang zur Lohnarbeit und Kapitalverwertung.

Ist es nicht ziemlich kompliziert, das alles in einer Demonstration zu vermitteln?

Es ist bei einer Demonstration immer schwierig, komplexe Sachverhalte an die Leute heranzutragen. Aber wir haben unter anderem versucht, auf Flyern in einfacher Art und Weise zu sagen, was wir wollen.

Was für eine Art offizieller Feierlichkeiten würden Sie sich für den 9. November wünschen?

Das ist eine sehr komplizierte Frage. Im Grunde ist es legitim, den Mauerfall als historisches Ereignis zu thematisieren. Aber es muss auch gesagt werden, dass es nach der sogenannten Wiedervereinigung ein aggressives, nationalistisches Grundklima in der Gesellschaft gab. Das war die Grundlage für rassistische Übergriffe, die unter anderem in Rostock ihren Höhepunkt fanden. Deshalb ist der Fall der Mauer für uns kein Grund zum Feiern.

INTERVIEW: SVENJA BERGT