Echt eine Bombenstimmung

Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Die Ausstellung „Achtung Sprengarbeiten“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst bietet eine kleine Kulturgeschichte des großen Knalls – vom Anarchisten Marco Buda bis zu Anschlägen auf Blumenkästen

VON TIM ACKERMANN

Nichts ist so banal wie die Sekunde vor der Detonation. Egal, wie oft man sich den Drei-Minuten-Film von Rosemarie Trockel noch anschaut – man entdeckt keine Anzeichen für den bevorstehenden Ausnahmezustand. Wäsche baumelt an der Leine. Äste schaukeln im Wind. Das Haus steht da. Im nächsten Augenblick ist es nicht mehr da. Dazwischen hat es einen Knall gegeben, und die Welt hat sich radikal verändert.

„Achtung Sprengarbeiten!“ heißt es gerade in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Es geht ums große In-die-Luft-gehen. Wohl keine Kunstausstellung zuvor hat sich so ausführlich mit dem Thema „Explosion“ beschäftigt. Es knallt im Minutentakt. Eine kleine Kulturgeschichte des Big Bang.

Natürlich, natürlich: Es gibt die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen einer Explosion auf der Videoleinwand und dem Schrecken einer realen Bombe. „Wie haben das auch diskutiert“, sagt Christoph Tempel von der verantwortlichen Arbeitsgruppe der NGBK. Ein Begleitkatalog informiere deshalb über die verheerenden Auswirkungen von Landminen, Fliegerbomben in Brandenburg oder den Sprengstoffentwickler Alfred Nobel.

Zudem ist die Ausstellung in mehrere Kapitel unterteilt. Es beginnt mit der Sprengung als „Spektakel“. Dazu gehört die irische Künstlerin Aoife Van Linden Tol, die das Sprengen als pyrotechnische Dämonenaustreibung betreibt. Im Vorfeld der Ausstellung konnten ihr Menschen verhasste Dinge schicken, von denen sie sich befreien wollten. Ein alter Wehrpass? Mit ein bisschen Schwarzpulver wird er unbrauchbar. Verblüffend ist die ästhetische Textur der gesprengten Objekte.

In der „Spektakel“-Abteilung der Ausstellung befindet sich auch Trockels Explosionsfilm. Etwas zu Unrecht, schließlich geht es bei ihr nicht um Unterhaltung. Vielmehr demonstriert sie, ähnlich wie Gordon Matta-Clark mit seinen Hauszersägungen, die Verletzbarkeit von Wohnräumen. Matta-Clark arbeitet sich langsam in die Privatsphäre des Gebäudes vor, Trockel sprengt sich den Weg dorthin frei. Bei ihr erscheint die Explosion vor allem als ein formales Mittel. 1999, als der Film gedreht wurde, war Terrorismus eben gerade mal kein Thema.

Oder etwa doch? Mathilde ter Heinjes fulminantes Arbeit „Suicide Bomb“ im Ausstellungskapitel „Gefahrenzone“ entstand nur ein Jahr später, ist also auch noch Pre-9/11-Art. In ihren Video schlüpft ter Heinje in die Rolle einer Selbstmordattentäterin. Um sich von falschem Pathos zu schützen, hat die Künstlerin Brecht’sche Verfremdungseffekte eingebaut: Im Moment der Explosion ist es immer eindeutig eine Puppe, die an ihrer Stelle in die Luft geht. Zudem wird die Handlung wie im Tierfilm laufend kommentiert. Frauen seien überproportional häufig bereit, sich in die Luft zu sprengen, sagt der Sprecher im onkelhaften Heinz-Sielmann-Ton: „Vielleicht ist es ihr Wunsch und ihre besondere Fähigkeit, sich selbst für die Gruppe zu opfern.“

Geht es bei ter Heinje um die Zeit vor der Explosion, so thematisiert Peter Kees Kunstwerk „100 % SICHER“ das Danach. Der Künstler stellt Taschen aus, die er gesprengt hat, so dass sie niemanden mehr heimtückisch attackieren können. Ein Verfahren, das in der außerkünstlerischen Wirklichkeit auf Flughäfen und Bahnhöfen an alleinstehenden Gepäckstücken praktiziert wird. Dass hundertprozentige Sicherheit die Vernichtung der Bedrohung voraussetzt, ist nicht neu. Wenn der Staat sprengt, sucht er damit die totale Kontrolle.

Dass sich Menschen gegen empfundenen oder existierenden Totalitarismus auflehnen, hat ebenfalls Tradition. Eiko Grimberg bezieht sich in einem Videokunstwerk auf den italienischen Anarchisten Marco Buda, der bereits 1920 ein mit Sprengstoff beladenes Pferdefuhrwerk in die New Yorker Wall Street lenkte und seither als offizieller Erfinder der Autobombe gilt. Buda wollte das Gesellschaftsgefüge zerstören. Sein Sprengen hatte den totalen Kontrollverlust zum Ziel, er überließ die Situation den Gesetzen der Physik und dem Chaos. Dass vierzig unschuldige Menschen starben, nahm er kaltblütig in Kauf. Natürlich reagierte die Staatsmacht auf seinen Anschlag mit umso stärkeren Repressionen, die sich zunächst auf die am wenigsten erwünschten Minderheiten im Land konzentrierten: Kommunisten und deutsche Einwanderer. Das Muster wirkt bekannt.

An diesem Punkt der wirklich sehenswerten Ausstellung angelangt, beginnt man sich doch ein bisschen zu langweilen. Wenn die gesellschaftlichen Implikationen von Sprengungen erörtert sind, fällt nämlich auf, dass die Knallereien der Künstler alle in braven, kontrollierten Bahnen verlaufen. Der wahre Charakter einer Explosion liegt aber in ihren unkalkulierbaren Konsequenzen. Das macht den Schrecken und die Faszination von Bomben aus.

Der einzige Ausstellungsbeitrag, der sich vorsichtig in Richtung dieser Realität bewegt, ist der von Annette Wehrmann. Die Künstlerin appliziert winzige Sprengladungen in den Blumenkübeln von Fußgängerzonen und drückt auf den Auslöser ihrer Kamera, wenn die Erde in die Luft spritzt. Die Fotos sind im Ausstellungsbereich „Intervention“ zu sehen.

Wehrmanns Angriff auf die deutsche Bundesgartenschaumentalität ist sehr amüsant. Am Ende aber bleibt die Erkenntnis, dass mehr explosive Grenzüberschreitung wohl nicht möglich ist. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Kunst und Leben.

Bis 2. Dezember: NGBK, Oranienstraße 25, Kreuzberg. Katalog 14 €