Im ICE (1)

Camouflage für Afrika

Irgendwo zwischen Braunschweig und Berlin-Spandau wird das ICE-Fahrgeräusch plötzlich vom Gekreische eines Formel-eins-Rennwagens übertönt. Ein Geschäftsmann zieht sein Handy aus der Tasche. Am anderen Ende ist offenbar ein Insolvenzverwalter, es geht um die Auslieferung von beschlagnahmter „brauner Ware“, ein verlorenes Fax und ausstehende Gehaltszahlungen. Der Anzugträger wischt sich den Schweiß von der Stirn und holt sich einen XXL-Kaffee aus dem Bistro-Abteil.

Kaum sitzt er wieder, hört man die Sirene eines amerikanischen Streifenwagens. Die Ehefrau ruft an: „Hallo, Ines, alles im grünen Bereich!?“ Den sich vertiefenden Sorgenfalten nach zu urteilen wohl ganz im Gegenteil. „Was!? Ja, ist der denn wahnsinnig? Camouflage! Für Afrika?“ Es folgt ein Telefongespräch mit dem Sohn. „Sascha, deine Mutter und ich finden es nicht gut, dass du für deinen Safari-Trip Tarnkleidung und Springerstiefel kaufen willst. Das kann schnell missverstanden werden. Ist ja nicht so einfach wie hier, da unten gibt’s jede Menge irregulärer Milizen, Mensch, du bringst dich in Teufels Küche.“

Derweil läuft der mobile Brezelverkäufer durch das Großraumabteil, ein Schwarzer in regulärer Bahnuniform. Die Verbindung bricht ab, wir fahren durch ein Funkloch. Der Vater schaut etwas verwirrt, dann hat er den Sohn wieder an der Strippe. „Sascha, pass auf, geh bitte nicht in den Army-Shop, geh lieber zu Jack Wolfskin, da gibt’s schnelltrocknende Spezialkleidung, ich zahl das für dich.“ Dann überlegt er kurz: „Aber falls du trotzdem noch im Nato-Laden vorbeischaust, dann bring mir doch bitte zwei lange Unterhosen mit, in Tarnfarben, jetzt im Herbst ist es schon ziemlich kalt auf Sylt.“ ANSGAR WARNER