Mit Mut in die Lücke

Das Festival „Around the World in 14 Films“ im Babylon-Mitte präsentiert die Lieblingsfilme der Berliner Kinoprominenz, lauter unbekannte Highlights aus Weltkino und radikalem Autorenfilm

VON CRISTINA NORD

In Berlin sind gestern 13 Filme gestartet. Von A wie „Ausgerechnet Bulgarien“ über N wie „Nichts als Gespenster“ bis W wie „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ bietet sich dem Kinogänger eine Mischung aus Action, Aktivismus, Brachialkomödie, Politbotschaft und Literaturverfilmung. Solche Programmfülle ist erschlagend, und zugleich steht sie in einem seltsamen Missverhältnis zu dem Umstand, dass zahlreiche Filme den Weg ins Kino gar nicht finden, obwohl sie bei internationalen Festivals herausragen. Was die Verleiher oft nicht berücksichtigen, sind Weltkino und radikaler Autorenfilm.

Das Babylon-Kino am Rosa-Luxemburg-Platz tritt nun mit einem eigenen Festival gegen dieses Missverhältnis an: „Around the World in 14 Films“ zeigt „die geheimen Festivalhighlights der führenden Filmfestivals wie Cannes, Toronto und Venedig“, wie es Bernhard Kahl, der Veranstalter, formuliert. 14 Filme aus unterschiedlichen Regionen hat er versammelt, zu sehen sind sie von heute Abend bis zum 8. Dezember, und damit sie nicht untergehen, hat sich ihnen jeweils ein prominenter Pate zur Seite gesellt. Filmschaffende wie Maria Schrader, Matthias Glasner, Thomas Arslan oder Oskar Roehler stellen ihre Lieblingsfilme vor.

Zu entdecken gibt es dabei einiges: etwa „El Aura“, eine kontemplative Thriller-Variation aus dem Jahre 2005. Ein Tierpräparator aus Buenos Aires fährt mit einem Freund zum Jagen; der Film nimmt sich viel Zeit, mit den beiden Männern durch die entlegenen Wälder zu streifen. Der Protagonist erleidet immer wieder epileptische Anfälle und gibt nach und nach seine Identität auf, da er in die Rolle eines anderen schlüpft. Je länger der Film dauert, umso weiter wagt er sich in die Gefilde des Fantastischen vor. Der Regisseur, der Argentinier Fabián Bielinsky, ist im Sommer 2006 an einem Herzinfarkt gestorben.

Ein Film sticht aus dem Programm besonders hervor: „Opera Jawa“ des indonesischen Regisseurs Garin Nugroho. Der durchgängig gesungene Film vermengt verschiedene Erzähl- und Kunstformen: die Gamelan-Oper, traditionelle javanesische Gesänge und javanesischen Tanz, zeitgenössische Choreografien, dazu Rauminstallationen, die einer Documenta oder einer Kunstbiennale würdig wären. Im Mittelpunkt steht eine Dreiecksgeschichte, die auf eine Episode aus dem Ramayana-Epos zurückgreift. Siti gerät zwischen zwei Männer, den Töpfer Setio, mit dem sie verheiratet ist, und den Händler Ludiro, der sie zu entführen sucht. Doch der Film macht bei dieser Konstellation nicht Halt, er bettet sie in einen Rahmen von Gewalt, Rebellion und Protest. Weiße Stoffpuppen hängen von den Bäumen am Wegesrand, zerschlagene Tonfiguren brennen auf verwüstetem Terrain. Beeindruckend ist der Illusionseffekt, der in solchen Aufnahmen steckt. Man sieht zwar nichts weiter als brennenden Ton, doch die realistischen Gegenstücke dieser Bilder ziehen vor dem inneren Auge wie von selbst vorbei.

Im Fall von Nugrohos Film erschließt sich die Notwendigkeit, ihn jenseits der gewöhnlichen Kinostarts prominent zu präsentieren, sofort. Das kommerzielle Potenzial eines solchen Filmes ist viel zu gering, als dass sich ein Verleiher an ihn heranwagte. Für einige andere Filme, die Kahl ausgewählt hat, gilt das nicht. „Control“ etwa, die Verfilmung der kurzen Vita des Joy-Division-Sängers Ian Curtis, eine Regiearbeit des Fotografen Anton Corbijn, kommt Anfang Januar regulär in die Kinos.

Hier deutet sich ein Problem von „Around the World in 14 Films“ an. So ehrgeizig der Veranstalter sein mag, so prominenten Beistand er gefunden hat – letztlich bleibt seine Auswahl willkürlich, und zwangsläufig fehlen wichtige Filme der letzten Festivalsaisons – etwa Carlos Reygadas’ berührendes Drama „Stellet Licht“ („Stilles Licht“) – ein Film, den Reygadas mit Laiendarstellern im Norden Mexikos gedreht hat und der seine Kraft daraus gewinnt, dass er in der ländlichen Welt einer Mormonengemeinschaft von einer Dreiecksgeschichte erzählt. So bewegt sich „Around the World in 14 Films“ auf schmalem Grat: Solange es mutig ist, gelingt es dem Festival, den vom gewöhnlichen Betrieb vernachlässigten, radikaleren Formen des Kinos ein Forum bieten. Wo der Mut nachlässt, läuft es Gefahr, der Fülle der Filmstarts nur weitere Titel hinzuzufügen.

„Around the World in 14 Films“ www.berlinbabylon14.net