Liebende, Hassende

TRENNUNGSSCHMERZ David Bösch inszeniert den Medea-Stoff „Das goldene Vließ“ am Deutschen Theater als Beziehungskampf

„Du nahmst mich, wie ich war, behalte mich, wie ich bin“, fordert Medea von Jason

VON SIMONE KAEMPF

Diese Frau, die so arglos wirkt in ihrem geblümten Trägerkleid und scheinbar fest auf beiden Beinen steht, möchte vergessen. Aber niemand lässt sie. Medea, das ist die, die von der „Wildnis ausgespien“ wurde, schleudert König Kreon ihr entgegen. Zu mehr „einfachem Herz und stillem Sinn“ rät ihr Kreons Tochter Kreusa. Und „verhasst war mir von Anfang her dein Wesen“ entfährt es Ehemann Jason.

Für ihn verließ sie die Heimat, verriet ihre Familie und nahm den Fluch ihres Vaters auf sich. „Vergessen will ich, dass ich Kolchis’ Königstochter bin“, fleht Medea (Katrin Wichman) so aufrecht und in die Ferne gerichtet, dass man es fast für einen Appell an die Götter halten könnte, würde sie nicht an der Wäschespinne mit einem Waschkorb hantieren. Auf südländisch-exotische Motive wird im Theater gerne zurückgegriffen, um die barbarische Kolchis-Welt, aus der Medea stammt, zu skizzieren.

In David Böschs Inszenierung am Deutschen Theater ist sie viel mehr zermürbte Ehefrau als dämonische Fremde. Verletzt von ihrem Schicksal in der Vergangenheit und jetzt vor allem von ihrem Mann Jason, der Belehrungen parat hat, aber keine Gefühle mehr hegt. Alexander Khuon spielt ihn voller Zerrissenheit, halbherzig ringt er sich zur Trennung durch, die im Stil einer klassischen Wohnzimmerschlacht ausgetragen wird: Ein schonungsloses Wort folgt aufs andere, Vorwurf steht gegen Vorwurf. In einem Moment aufbäumender Zärtlichkeit brechen alte Gefühle in einer wilden Umarmung durch, die schnell wieder von Fremdheit überdeckt wird.

Aus den Liebenden sind Hassende geworden, und wie Khuon und Wichmann das spielen, ohne Overacting, mit nach innen gerichteten Gefühlen, erwecken sie die Schmerzen dieser Trennung eindringlich zum Leben. Plausibel wird auch, wie verletzt sich Medea fühlt und weshalb sie ihre Kinder umbringen will: um sie vor gleichen Demütigungen zu bewahren. Weniger klar allerdings ist der große Zusammenhang, die Vorgeschichte aus Fluch, Verrat und Flucht, aus Staatsräson und politischen Verwicklungen.

Rache auf der E-Guitarre

Jasons Kriegs- und Rachefahrt mit den Argonauten fasst der 1978 geborene Regisseur David Bösch in einem wenige Minuten dauernden Musik-Intro zusammen, das vor allem beweist, dass Bösch Pathos und großes Gefühl nicht scheut. Der Schauspieler Tino Mewes schlendert im dichten Bühnennebel mit einer E-Gitarre nach vorne. Über ihm glimmen Glühbirnen wie Gestirne. Die Jagd nach dem Goldenen Vließ erzählt er in Schlagworten, singt von der Schwester, die dem Eindringling Jason erliegt. „Bleibe bei deinem Bruder“, schreit er herzzerreißend, lässt die Gitarrensaiten jaulen und sinkt tränen- und blutüberströmt in die Knie. Hundert Seiten Text wären damit in wenigen Minuten geschafft. Damit ironisiert dieser allzu verspielte Auftritt die Tragödie mehr, als dass er Medeas und Jasons Geschlechterkampf das Feld bereitet.

Das Bühnenbild von Patrick Bannwart öffnet noch einen weiteren Kontrast. Wenn sich der Nebel lichtet, offenbart sich eine Mülllandschaft voll altem Hausrat, Möbelteilen und Plastikstühlen. Alles in Grau-Weiß gehalten und leicht stilisiert, aber doch realistisch genug, um soziales Elend zu verströmen, in dem man den Kindsmord gerne verortet. Die Nebelreste liegen eine Weile fast impressionistisch als weißer Schleier über der Szene. Ein schönes Bild. Aber die Durchlässigkeit, die es suggeriert, erfüllen im Grunde nur die Figuren von Wichmann und Khuon.

Wenig überraschend, dass Sven Lehmann als Kreon sinnfällig schmierig sein Bedrohungspotenzial erlangt. Claudia Eisinger als Kreusa reiht harmlose Verlegenheitsgesten aneinander, ob sie nun Medea gegenüber steht oder Jason, dem sie bereits in der Kindheit als Frau versprochen wurde. Solche beiläufig fallenden Details füttern den Beziehungskampf mit an.

„Du nahmst mich, wie ich war, behalte mich, wie ich bin“, fordert Wichmanns Medea und wickelt sich die Strickjacke enger. „An die Dinge denkst du nicht, die seither geschehen sind“, forciert Jason, der seinen lässigen Look bereits gegen die Anzugmode an Kreons Haus getauscht hat. Das Drama der Entzweiung macht die Qualität von Böschs Inszenierung aus, überdeckt allerdings auch Medeas und Jasons Vergangenheit, in der ihre Trennung doch erst begründet liegt.

■ Wieder am 23. und 28. 10. im Deutschen Theater