„Wir wollen kein Musterbeispiel sein“

Die Bibliothek in Wilhelmsruh wurde 2005 geschlossen. Erst nach eineinhalb Jahren konnte der Verein Leben in Wilhelmsruh sie wieder öffnen, berichtet dessen Vorsitzender Patrick Meinhardt. Heute nutzen sie 1.000 Menschen

PATRICK MEINHARDT ist der Vorsitzende des Vereins Leben in Wilhelmsruh.

taz: Herr Meinhardt, Ihr Verein betreibt seit 2006 ehrenamtlich die Bibliothek im Pankower Ortsteil Wilhelmsruh. Wie kam es zu dieser Idee?

Patrick Meinhardt: 2004 wurde bekannt, dass der Bezirk Pankow die Stadtteilbibliothek in der Edelweißstraße schließen will. Wir Anwohner haben uns heftig dagegen gewehrt, mit Unterschriftensammlungen und Demonstrationen. Aber wir haben schnell festgestellt, dass das eine politische Entscheidung war und daran nichts zu rütteln war. Da haben wir uns entschlossen, den Protest zu wenden und selbst aktiv zu werden. Wir haben einen Verein gegründet, der etwa zwei Drittel des Bestands der Bibliothek übernommen hat und sie seither in neuen Räumen als freier Träger betreibt.

Hat der Bezirk dieses Vorhaben unterstützt oder mussten sie dafür kämpfen?

Kämpfen ist gar kein Ausdruck. Wir sind auf sehr viel Widerstand gestoßen, vor allem in der Verwaltung. Da hieß es: Ehrenamtliche können doch keine Bibliothek betreiben. Vor allem die professionellen Bibliothekare konnten sich das gar nicht vorstellen. Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis wir die Bibliothek wiedereröffnen konnten.

Wie läuft die Bibliothek heute?

Wir haben etwa 1.000 regelmäßige Nutzer, von Kindern bis zu Rentnern. Im vergangenen Jahr haben wir rund 40 Leseveranstaltungen mit Grundschulen und Kindergärten durchgeführt, das heißt, es waren rund 1.000 Kinder bei uns in der Bibliothek. Dazu kommen Abendveranstaltungen, der Oster- und Weihnachtsmarkt. Die Bibliothek hat sich als sozialer Mittelpunkt hier im Kiez etabliert. So eine Bibliothek ist ja immer etwas Besonderes, der Geruch von Büchern entspannt die Leute, macht sie stressfrei.

Wie viele Leute arbeiten ehrenamtlich in der Bibliothek mit?

Unser Verein hat 120 Mitglieder. Aber wir haben gemerkt, dass viele Leute keine Lust haben, in einen Verein einzutreten. Deshalb haben wir das Bibliotheks-Team gegründet. Es besteht aus etwa 35 Leuten, die die Schichten in der Bibliothek übernehmen, manche von ihnen sind Mitglieder im Verein, andere nicht. Wir sind eine sehr bunte Gruppe, von Schülern bis zu Rentnern und arbeitslosen Bibliothekaren ist alles dabei.

Ist es schwierig, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden?

Wir können natürlich immer noch mehr Freiwillige gebrauchen. Derzeit haben wir 21 Stunden pro Woche geöffnet, an drei Tagen bis 19 Uhr. Da braucht es eine Menge Helfer. Und die Leute haben eine hohe Verantwortung; wir arbeiten mit einem sehr modernen EDV-System, damit kommt nicht jeder klar.

Wie finanziert sich der Verein?

Wir haben einen Vertrag mit dem Bezirk, der uns die monatlichen Nebenkosten zahlt. Der Rest wird durch Spenden finanziert und durch die Einnahmen aus Veranstaltungen. Und natürlich durch viel unbezahltes Engagement.

Würden Sie das Modell einer ehrenamtlich betriebenen Bibliothek empfehlen?

Die Arbeit im Verein und in der Bibliothek ist eine wirklich schöne Erfahrung. Aber als Vorbild für andere Bibliotheken würde ich unser Modell nicht empfehlen. Es darf nicht sein, dass der Staat sich aus solchen Aufgaben zurückzieht. Wir sehen unsere Arbeit auch eher als ein „Warmhalten“. Wir hoffen sehr, dass wir eines Tages wieder personelle Unterstützung vom Bezirk bekommen. Dass wir jetzt von der Politik als Musterbeispiel hingestellt werden und gesagt wird: Schaut her, so geh das ja auch – das ist auf jeden Fall ein Problem.

INTERVIEW: JULIANE SCHUMACHER