Die unbekannten Alten

Die Altenhilfe in Bremen ist immer noch zu wenig auf Schwule und Lesben eingestellt. Manche Heimleitung ignoriert sie sogar. Andere Großstädte sind da schon etwas weiter

von Jan Zier

Fast 9.000 BremerInnen sind, rein rechnerisch betrachtet, über 60 Jahre alt und schwul oder lesbisch, gut 450 von ihnen sind sogar pflegebedürftig. Doch Bremen macht bislang zu wenig für diese Menschen, sagen ExpertInnen. Betagte Lesben und Schwule, die in Einrichtungen der Altenhilfe leben, vielleicht sogar der Pflege bedürfen, sind in Bremen bislang meist „unsichtbar“, sagt beispielsweise Annette Mattfeldt vom Rat&Tat-Zentrum in Bremen – und „unbekannt“. Andere Großstädte wie Berlin, Frankfurt oder Köln sind da schon weiter.

Viele Heimleitungen verneinten immer noch die Existenz von Lesben und Schwulen in ihren Einrichtungen, sagt Mattfeldt, und auch Heiko Gerlach bestätigt das. Der Pflegewirt und gelernte Altenpfleger aus Hamburg ist Autor zahlreicher Schulungskonzepte für Pflegekräfte und Institutionen der Altenhilfe. Dass es – wie in den USA – schon 30 Jahre lang spezielle Projekte für betagte Schwulen und Lesben gebe, sei in Deutschland aufgrund seiner Geschichte „undenkbar“, so Gerlach. Viele Homosexuelle jenseits der 60 hätten ein Leben lang ungeoutet gelebt, viele von ihnen seien durch Verfolgung unter den Nationalsozialisten und in der Adenauer-Ära „traumatisiert“. Aber auch viele jener Älteren, die sich ab dem Ende der Sechziger Jahre in der Lesben- und Schwulenbewegung engagierten, haben starke Diskriminierung oder sogar Gewalt erfahren, sagt Gerlach. Laut einer neueren Studie unter 2.500 Homosexuellen sind oder waren rund 80 Prozent hiervon betroffen.

Gerade Altenheime sind stark von der heterosexuellen Norm geprägt. Und viele Schwule und Lesben sehen hier die „Gefahr der Isolation“, so Gerlach – und zu wenig Bereitschaft, ihre Lebensformen zu akzeptieren. „Das muss eine Selbstverständlichkeit bekommen“, sagt Gerlach. Auch im Alter, so die banale Forderung, wollten Homosexuelle keine Angst vor Diskriminierung haben müssen. Und den Kontakt zu ihrer Bezugsgruppe aufrecht erhalten – zumal sie oft weniger stark familiär eingebunden seien als Heterosexuelle, und deshalb stärker auf andere angewiesen. Mitunter allerdings, sagt Mattfeldt aus eigenem Erleben, ist der mit Lesben und Schwulen in der Altenhilfe gepflegte Umgang „ausgesprochen unangenehm“: Die werden zu wenig „ernst genommen“.

In Hessen, Berlin oder Hamburg gibt es jedoch schon seit einiger Zeit entsprechende Fortbildungsangebote für Altenpflegekräfte, in Bremen hat das Rat&Tat-Zentrum gerade eben erst – im Auftrag des Sozialressorts – einen entsprechenden Leitfaden für MitarbeiterInnen erarbeitet. In der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bremen wurde auch bereits eine dazugehörige Weiterbildung angeboten – doch die Nachfrage des Personals war eher gering. So ist das auch in anderen Städten, sagt Gerlach, da helfe oft nur etwas „Nachdruck“ aus der jeweiligen Führungsetage.

In Berlin gibt es sogar ein eigenes altersgerechtes Wohnprojekt für Lesben und Schwule, mit Unterstützung des Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), auch in Frankfurt und Köln laufen derzeit ähnliche Initiativen. In Hamburg wiederum ist sie – vor zehn Jahren schon – einmal am Widerstand aus der Bevölkerung gescheitert, sagt Gerlach. Und in Bremen gibt es sie bislang noch gar nicht.

Vortrag von Heiko Gerlach und Diskussion: Heute, 20 Uhr, Rat&Tat-Zentrum, Theodor-Körner-Str.1