Macht und Ohnmacht

PROZESS Weil er einen Bagis-Mitarbeiter geschlagen hat, muss ein 31-jähiger Arbeitsloser weiter in Haft

M. ist einer, der seine Gefühle nicht richtig im Griff hat. Nicht einmal, wenn er wieder vor Gericht steht, diesmal wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung in vier Fällen. „Er ist sehr temperamentvoll“, wird die psychologische Gutachterin Jutta Ring über den 31-Jährigen sagen. Oder, anders ausgedrückt: „Es fällt ihm schwer, seine Affekte zu regulieren.“ Seine Sozialisation habe ihn „sehr sensibel“ gemacht für „Verhältnisse von Macht und Ohnmacht“.

Zum Beispiel bei der Bagis. Da haben sie dem arbeitslosen Maler alle Zuschüsse gestrichen, als der Hinweis kam, M. hätte ein festes Einkommen erzielt, ohne es der Behörde zu sagen. Als er um Essenmarken anhielt, wurde er unmissverständlich abgewiesen. „Wir schicken die Leute weg, wenn kein Anspruch zu ermitteln ist“, so die Sachbearbeiterin B. kühl. Und wenn jemand sagt, er habe nichts zu essen, will die Verteidigerin wissen. Antwort: „Was soll ich da sagen?“ Es kommt zu einem Wortgefecht zwischen M. und B., ein Kollege eilt herbei, M. wird handgreiflich, versetzt ihm einen Schlag. Körperliche Angriffe auf MitarbeiterInnen seien zwar selten, kämen aber deutlich häufiger als früher vor, sagt die Bagis.

Auch im Knast haben sie Probleme mit ihm, im Bremer jedenfalls, wo er wegen diverser Raubüberfälle und Körperverletzungen sitzt. Wiederholt wird er nach Oldenburg verlegt, wo die Psychologin ihm attestiert, „viel geordneter und emotional stabiler“ zu sein. Im Oldenburger Knast hätten die Gefangenen eher das Gefühl, „gleich behandelt zu werden“ als in Bremen. Und an Drogen kommt man dort offenbar auch nicht so leicht.

Sein Vater, ein türkischer „Gastarbeiter“, hat den Sohn früher offenbar wiederholt geschlagen. Seine neunjährige Tochter sieht M. selten, die Beziehung zur Mutter ist gescheitert und im Bremer Knast ist er der „kleine Bruder“ von K., der noch mehr Haft absitzen muss als M. Ring bezeichnet M. als „sehr intelligent“, bescheinigt ihm aber „dissoziale Züge“, dazu Anzeichen einer Borderline-Persönlichkeit. Seine Sozialprognose ist schlecht, die Ausstattung der Gefängnisse mit Psychologen auch. Am Ende wird er sich reuig für sein Auftritt vor Gericht entschuldigen. Und bekommt weitere sechs Monate Haft. MNZ