Ein kluger Film über das Leben

Hippen empfiehlt: In „Seelenvögel“ zeigt Thomas Riedelsheimer, wie drei Familien mit der lebensbedrohlichen Krankheit ihrer Kinder umgehen

Man spürt, dass die Eltern und die Kinder Riedelsheimer, seine Kamera und damit auch die Zuschauer in ihre Heime eingeladen haben

Von Wilfried Hippen

Es ist die schlimmste Angst aller Eltern: Was wird, wenn das eigene Kind krank wird und früh stirbt ? Da wird am Wesentlichen gerührt und all jene, die heil davongekommen sind, wollen es vielleicht gar nicht so genau wissen. Thomas Riedelsheimer muss gewusst haben, dass er keinen Publikumsrenner dreht, als er fast drei Jahre lang mit der Kamera drei Familien begleitete, in denen ein Kind an Leukämie erkrankt war.

Dabei ist „Seelenvögel“ alles andere als ein deprimierender Film geworden. Seltsamerweise erzählt er mehr vom Leben als vom Tod, vielleicht weil dieser immer gegenwärtig ist. Um solch eine Wirkung zu erreichen, muss ein Dokumentarfilmer die richtigen Bilder finden, und Riedelsheimer ist der vielleicht poetischste deutsche Kameramann seiner Generation. In seinem internationalen Erfolg „Rivers and Tides – Andy Goldsworthy Working With Time“ schwelgte er in den Bildern der von dem schottischen Künstler neu arrangierten Natur, und in „Touch the Sound – A Sound Journey with Evelyn Glennie“ gelang es ihm, das Publikum in die Klangwelt dieser gehörlosen Musikerin zu führen. Auch in seinem neuen Film gibt es eher assoziativ montierte Bilder von der Natur: von Bächen, Gräsern oder Tautropfen, die den Film innehalten lassen und so einfach Zeit geben, das davor Gesehene wirken zu lassen.

Aber eines der schönsten dieser Stimmungsbildern von einem Wasser trinkenden Frosch hat Riedelsheimer gar nicht selber gemacht, sondern es stammt von der 15-jährigen Pauline, der er eine Digitalkamera in die Hand gedrückt hat und einfach so herum filmen ließ.

Diese Vertrautheit, dieses manchmal auch spielerische Verhältnis des Filmemachers zu den drei Kindern und ihren Familien ist die größere Kunst von Riedelsmeyer.

Sein Film besteht im Grunde nur aus intimen Momenten, die aber nie voyeuristisch wirken. Man spürt, dass die Eltern und die Kinder Riedelsheimer, seine Kamera und damit auch die Zuschauer in ihre Heime eingeladen haben, und dass sie dabei in ihrem Vertrauen nicht enttäuscht wurden, weil er diesen Momenten eine angemessene künstlerische Form gab. Selten wurden im Film die Persönlichkeiten von Kindern so komplex und einfühlsam gezeichnet wie hier.

Da ist die pubertierende Pauline mit ihren Träumen von einer Schauspielkarriere, den Tanzkursen mit vielen kichernden Freundinnen und einer erstaunlichen inneren Ruhe. Der zehnjährige Richard ist ein hochbegabter Tausendsassa, der in der Intensivstation seinen Eltern am Telefon Trost spendet, schon ein wenig chinesisch sprechen kann, Schach spielt und die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod mit klarer Logik und philosophischer Gelassenheit diskutiert. Der sechsjährige Lenni ist schließlich ein fröhlich krähendes Kind, das trotz seiner Behinderungen, zu denen auch das Down-Syndrom zählt, einen unbezähmbaren Lebenswillen ausstrahlt.

Auch den Eltern der Kinder wird mit ihren Ängsten, Hoffnungen und verschiedenen Wegen, diese existentielle Krise zu bewältigen, viel Raum gegeben. Riedelsheimer war dabei so klug, trotz seiner Nähe bei den Aufnahmen durch Montage und Tonspur auch Distanz zu schaffen. Dabei hätte er soviel falsch machen und damit verderben können.

Wie sentimental hätte es etwa gewirkt wenn nicht er selber sondern die Stimme eines jungen Mädchens die Tagebuchnotizen von Pauline vorgelesen hätte? Oder wenn er für den Tod selber nicht solche nüchtern wahrhaftige Bilder gezeigt hätte? So ist sein Film zwar anrührend, wird aber nie zum Rührstück. Dies ist in erster Linie kein Drama und somit auch keine Tragödie, sondern eine Meditation über das Leben.