Entschleunigung: Ausweitung der Langsamkeit

Rund 250 Straßen vom Schulterblatt bis zur Stübeheide sollen den Bezirken zufolge zu Tempo-30-Zonen werden. Problematisch sind allerdings die Busse.

In Hamburg soll es mancherorts langsamer zugehen. Bild: dpa

Alles rennt und rast und hechelt heutzutage. Oder wie der Soziologe sagt: Modernen Gesellschaften ist Beschleunigung strukturell und kulturell eingeschrieben. Umso schöner also, wenn mal auf die Bremse getreten wird; und sei es nur mit der Ausweitung der Tempo-30-Zonen, vor der Hamburg gerade steht.

So hat nun der Senat als Antwort auf eine kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Ole Thoren Buschhüter eine Liste mit rund 250 Straßen publik gemacht, die die Bezirksämter der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt als neue Tempo-30-Zonen vorgeschlagen haben. Darunter finden sich Straßen, die in Ehre und Ansehen stehen - das Schulterblatt, die Ottenser Hauptstraße, Grindelhof und Eppendorfer Weg -, nicht anders als Straßen, in denen der Feldweg anklingt, der sie vor kurzem womöglich noch waren: Övern Barg, Hainholzweg, Stübeheide. Und zuletzt Straßen, von denen man gar nicht weiß, ob sie überhaupt welche sind, die Fischertwiete etwa. Das ist die Tor-Durchfahrt des Chilehauses in nord-südlicher Ausrichtung.

CDU und GAL hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, "an geeigneter Stelle" weitere Tempo-30-Zonen einzurichten. Als Problem könnte sich allerdings erweisen, dass gut ein Drittel der Vorschläge Straßen betreffen, in denen auch Busse verkehren. So verkehren beispielsweise in rund jeder dritten der vorgeschlagenen Straßen Buslinien. Das dürfte beim HVV und den Busunternehmen "auf wenig Gegenliebe stoßen", erwartet Buschhüter. "Die rechnen dann vor", sagt der SPD-Politiker, "dass sich durch die 30-Zone die Fahrzeit erhöht, und dann um den Takt zu halten ein Bus mehr in Betrieb genommen werden muss, so dass schließlich Mehrkosten in Höhe von einer Viertel Million Euro entstehen."

Im Bezirk Altona unter anderem streckenweise die Gasstraße, den Bahrenfelder Kirchweg und die gesamte Scheel-Plessen-Straße

in Hamburg-Nord die Lessing-, Gertig- und Willistraße

in Eimsbüttel Teile des Alsterufers, der Eimsbütteler Chaussee und der Schlankreye

in Hamburg-Mitte vor allem die Straßen des Kontorhaus- und Katharinenviertels

in Wandsbek der Volksdorfer Damm und die Jesselallee

in Harburg Streckenabschnitte des Marschkamper- und Nincoper Deichs und in Bergedorf nirgends

Auch die Innenbehörde habe sich in Vergangenheit häufig gegen neue Tempo-30-Zonen gestäubt. Dem HVV und den Behörden bleibt noch bis zum 31. August Zeit, die Vorschläge der Bezirksämter zu bewerten. "Ich wäre nicht überrascht, wenn am Ende viele der vorgeschlagenen Straßen als ungeeignet verworfen würden", befürchtet Buschhüter. Es sei richtig, "für die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer das Tempo-30-Zonen-Netz weiter auszubauen." Von den Behörden war am Sonntag keine Stellungnahme zu erhalten.

Insgesamt sind laut Buschhüter aber viele gute Vorschläge in die Liste aufgenommen worden. Und er begrüßt, dass nun auch das bislang sakrosankte "Vorfahrtsstraßennetz" zur Disposition gestellt sei. Die Hermann-Balk-Straße in Wandsbek habe etwa zu diesen Straßen gehört, die als vermeintliche Abflussventile des Verkehrs als unantastbar galten - nun aber zumindest teils in Tempo-30-Zonen umgewandelt werden könnten.

Buschhüter weist auch darauf hin, dass Hamburg bereits in den frühen 1980er Jahren begonnen habe, ein weites Tempo-30-Zonen-Netz aufzubauen. Heute sei es mit etwa 700 Zonen so groß wie in keiner anderen deutschen Stadt. Verschmerzbar also, dass der Bezirk Harburg die Aufhebung einer Tempo-30-Zone empfiehlt - und der Eißendorfer Pferdeweg vielleicht bald wieder für Pferdestärken-Verehrer zu einer guten Adresse wird.

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