Gentrification ist von vorgestern

STADTENTWICKLUNG Eine Ausstellung ehrt die Mönckebergstraße, die vor 100 Jahren angelegt wurde. Sie entstand auf den Trümmern eines lebendigen Gängeviertels

Alles beim Alten, könnte sich denken, wer heute die vom Sanierungstod bedrohten letzten Reste des Gängeviertels bedenkt. Weil das Alte in der „alten Hanse“ seit je einen schweren Stand hat, um nicht zu sagen: gar nicht erst alt wird. „Freie und Abrissstadt Hamburg“, nannte der legendäre Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark die Elbmetropole – noch vor den weitflächigen Abrissen der Gängeviertel Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Abrissbirne bahnte „Hamburgs Weg zur Großstadt“, wie nun eine aufschlussreiche Ausstellung im Levantehaus an der Mönckebergstraße heißt. Im Zentrum steht eben jene Mönckebergstraße, die vor 100 Jahren eingeweiht wurde. Und in der laut Ausstellungskatalog mehrere städtebauliche und architektonische Bedeutungsebenen „räumlich gebündelt werden“. Startschuss für die Mönckebergstraße war, wenn man so will, die Cholera-Epidemie 1892, mit der die Sanierung des Gängeviertels Altstadt in den Blick der Stadtplanung geriet. Die Wohnsituation muss dort verheerend gewesen sein: „Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde“, soll der Berliner Virologe Robert Koch bei einem Besuch nach der Cholera gesagt haben. Die danach in Gang gesetzte „Sanierung“ erwies sich dann als Komplettabriss, der von Enteignung und Vertreibung gekennzeichnet war.

Anders aber als in den zuvor sanierten Gebieten der südlichen Neustadt wurde hier eine reine Geschäfts- und Kontor–hausstraße geschaffen. Das Zentrum der Stadt, das vormals von Kleinwirtschaft und Wohnen bestimmt war, wurde damit auf umstürzlerische Weise neu definiert. Seither gilt diese Straße als Mittelpunkt der Konsumkultur und der Büroarbeit. Entscheidenden Anteil an dieser Neudefinition hatte die neue Mobilität. 1906 wurde am Rande des Gängeviertels Altstadt der Hauptbahnhof eingeweiht. Die Mönckebergstraße sollte als Infrastrukturmaßnahme eine Verbindung zwischen Bahnhof und Rathaus schaffen. Auch unterirdisch. So ging der Abriss des alten Viertels einher mit der Untertunnelung des Geländes für die Strecke der Hochbahn.

„Die Straße zeugt damit von der Zweckrationalität der Hamburger Kaufleute“, sagt Jan Lubitz, der die Ausstellung konzipiert hat. Dennoch sei die Mönckebergstraße ein Zwitter. Denn so kühl sie berechnet und so frei von Rücksichtsnahme sie durchgezogen worden ist: in ihrer Gestaltung eigne ihr etwas Malerisches. Lubitz erklärt das mit ihrer S-förmig gekrümmten Straßenführung, die auf den mittelalterlichen Stadtbauideen des Wiener Architekten Camillio Sittes beruhe.

Zwischen zukunftsweisend und rückwärtsgewand pendelt auch die Architektur der einzelnen Kontor- und Geschäftshäuser. In einem ersten Bauabschnitt wurden die Häuser in hellem Naturstein und in klar gegliederten Formen ausgeführt. In einem zweiten Bauabschnitt erwachte ein Bewusstsein für das, was mit dem Abriss des alten Gängeviertels verloren ging: die Bauten wurden aus Backstein errichtet, die Dächer mit barocken Schweifgiebeln versehen. Der letzte Bauabschnitt überwand dieses Aufbäumen des Historismus, und so entstanden schlichte, ruhig gegliederte und großflächige Baukörper, die bereits auf die großen kubischen Bauten der 1920er Jahre vorausweisen.

Drei unterschiedlich geprägte Bauphasen in weniger als fünf Jahren: So schnell ändert sich in Hamburg bisweilen die Stadt.MAXIMILIAN PROBST

Katalog: Die Mönckebergstraße, Hamburgs Weg zur Großstadt, Jan Lubitz, Junius-Verlag