Ein Krieg wird wieder Thema

BOSNIEN UND HERZEGOWINA Die EU-Visapolitik und Pläne, internationale Institutionen aufzulösen und Eufor-Truppen abzuziehen, verunsichern die bosniakische Bevölkerung

Bosniaken werten EU-Pläne als direkte Unterstützung der serbischen Position

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Fast alle Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen in Sarajevo enden dieser Tage mit dem Hinweis, es könnte einen neuen Krieg in Bosnien und Herzegowina geben. Zwar versuchte der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Valentin Inzko, diese Warnungen als wirklichkeitsfern abzutun. Doch allein schon der Vorgang, dass er am letzten Freitag auf diese Befürchtungen eingehen musste, zeigt die Stimmung im Land.

Der Grund für diese Befürchtungen ist die tiefe Verunsicherung vor allem der bosniakischen Bevölkerung durch die Politik des Ministerpräsidenten der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, und durch die Politik der Europäischen Union. Die Diskussion innerhalb der EU, das Büro des Hohen Repräsentanten noch in diesem Jahr aufzulösen und die Eufor-Truppen aus Bosnien und Herzegowina abzuziehen, hat zu dieser Stimmung wesentlich beigetragen. Hinzu kam die von der EU-Kommission vorgeschlagene Visaregelung für die Länder des westlichen Balkans, die Visaerleichterungen für Serbien, Montenegro und Makedonien vorsah, nicht jedoch für Bosnien, Albanien und Kosovo.

Dodik hat in den letzten Monaten nichts unversucht gelassen, die serbische Teilrepublik vom gemeinsamen Gesamtstaat abzukoppeln. Deshalb ließ er letzte Woche im Parlament der Teilrepublik eine Reihe der seit dem Friedensvertrag von Dayton 1995 von den Hohen Repräsentanten erlassenen gesamtstaatlichen Gesetze annullieren. Er will jetzt das gemeinsame Energieversorgungssystem entflechten und wehrt sich gegen internationale Richter im Gerichtswesen des Gesamtstaates, soweit sie für Korruptionsfälle – und damit auch für ihn selbst – zuständig sind. Mit Belgrads Außenminister Vuk Jeremić forderte er am Wochenende erneut, das Büro des Hohen Repräsentanten in Bosnien aufzulösen und die Eufor-Truppen zurückzuziehen.

Genau wegen dieser Forderung ist die nichtserbische Bevölkerungsmehrheit der Bosniaken und Kroaten im Vielvölkerstaat über Brüssels Pläne entsetzt. Sie werden vor allem in Sarajevo als direkte Unterstützung der serbischen Position gewertet. Sie könnten Zusammenstöße zwischen den Volksgruppen auslösen, fürchten auch Nato-Militärs in der Region.

Immerhin gab es in den letzten Tagen einen Umschwung bei der Visaregelung. Die EU-Kommission musste anerkennen, dass sich im Europaparlament starker Widerstand bildete. Denn die geplante Regelung bedeutet, dass vor allem die bosniakische Volksgruppe vom freien Reiseverkehr ausgeschlossen wäre. Einem Protestbrief aus Berlin, in dem befürchtet wird, die Visaregelung trüge zur Destabilisierung Bosniens bei, schlossen sich über 2.000 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an. Angeführt von den ehemals Hohen Repräsentanten Paddy Ashdown, Wolfgang Petritsch und Christian Schwarz-Schilling wurde die Initiative (balkangoeseurope.eu) auch von den Fraktionen der Grünen und Konservativen im Europaparlament unterstützt.

Beigetragen zum Sinneswandel hat zudem, dass der bosnische Ministerrat mit den Stimmen der serbischen Vertreter vier für die Visaregelung wichtige Gesetze erlassen und gleichzeitig die Einführung biometrischer Pässe für Mitte Oktober angekündigt hat. Die letztendliche Entscheidung über die Visaregelung will Brüssel im November fällen. In Hintergrundgesprächen erklärten Nato-Militärs in Sarajevo gegenüber der taz, im November werde „angesichts des Konfliktpotenzials“ wahrscheinlich auch das Mandat der Eufor in Bosnien verlängert.