Ohne Wasser kein Sex

In „Absurdistan“ zelebriert Veit Helmer viel Exotik und Skurrilität

Manchmal liest sich eine Zeitungsnotiz wie die komische Variation eines griechischen Dramas. Während in der antiken Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes die Frauen ihre Männer durch einen Beischlaf-Streik dazu zwingen wollen, den Krieg zu beenden, waren es im Jahr 2001 im südtürkischen Dorf Sirt die kaputten Wasserleitungen, die die Ehefrauen zum „Sexboykott“ (so der „Tagespiegel“) trieben. Solche seltsamen, märchenhaften Geschichten sind die Spezialität des 1968 in Hannover geborenen Veit Helmer, der 1999 in „Tuvalu“ ein verfallenes Schwimmbad in einen poetisch magischen Ort verwandelte. Helmer ist einer von den Filmemachern, die sich gerne eine neue, ganz eigene Welt zusammenbasteln. Für „Absurdistan“ ist er nach Aserbaidschan gefahren, wo er ein abgelegenes Bergdorf so umbauen ließ, dass es kaum noch an einen real existierenden Ort erinnerte.

In diesem irgendwo zwischen Morgen- und Abendland angesiedelten Dorf leben Aya und Telmelko, die sich von Kindheit an lieben und inzwischen alt genug sind, um eine Familie zu gründen. Aber die weise Großmutter liest in den Sternen, dass der ideale Termin für ihre erste Liebesnacht erst in vier Jahren ist. Entsprechend gespannt warten sie auf diese Nacht, ``wenn die Sternbilder Jungfrau und Schütze sich treffen``. Aber nun droht der Geschlechterkrieg in ihrem Dorf die ersehnte Entjungferung zu verhindern. Und deshalbmuss Temelko in ein verrostetes Wasserrohr kriechen, um dort unter Einsatz seines Lebens Klempnerarbeiten auszuführen.

In Helmers Film darf der Realismus keine Sekunde sein schreckliches Haupt erheben. Schon normale Dialog sind ihm offensichtlich zu prosaisch, und so sprechen die Menschen kaum in diesem Film. Die Filmfiguren geben meist nur Geräusche von sich und eine sonore Stimme erzählt die Geschichte im Stil eines Märchenonkels. Ein wenig enttäuschend ist dann allerdings, dass die wenigen Dialoge deutsch synchronisiert wurden, denn da kaum Informationen über diese Textstellen vermittelt werden, wäre es nur konsequent, wenn die Figuren in einer Fantasiesprache miteinander reden würden. Das pittoreske Aussehen der Darsteller ist Helmer offensichtlich wichtiger als ihr schauspielerisches Talent, aber ihre übertriebenen Gesten und expressiven Bewegungen gehören wohl auch zum dem antirealistischen Effekt, den der Regisseur erreichen würde.

Alles scheint hier wie aus einem Guss: Die Charaktere sind sympathisch verschroben, das Dorf wirkt so schmuck zusammengebastelt wie eine Ansammlung von Knusperhäuschen, der Kameramann George Beridze hat alles in ein sehr helles und südliches Licht getaucht, in dem die Farben wunderbar leuchten und oft ertönt jene Blasmusik aus dem Balkan, die wir von Emir Kusturicas‘ Filmen kennen. Doch genau dieser Vergleich ist für Helmer eher ungünstig. Denn im Vergleich zünden seine Scherze längst nicht so gut, und während der serbische Filmemacher sich mit vollen Händen bei der reichen Volksmythologie des Balkans bedienen kann, ist „Absurdistan“ dann doch ein Designer-Märchen. Da wird der Zuschauer nie wirklich von der Geschichte mitgerissen, sondern er wartet eher neugierig und milde amüsiert darauf, was für eine Regieidee ihm als nächstes vorgesetzt wird. Zudem mag man sich auch nicht wirklich vorstellen, ob und wie all diese schrulligen Dorfbewohner Sex miteinander haben. Man kann also noch froh darüber sein, dass Helmer ein eher keuscher Regisseur ist, und so beim Höhepunkt des Films nur das Wasser spritzt.

Wilfried Hippen