Mehr oder weniger Mundart?: Sprachenstreit auf plattem Land

In einer ostfriesischen Gemeinde werden einige plattdeutsche Straßennamen durch hochdeutsche ersetzt. Das ist umstritten - seitens der friesischen Minderheit ist gar von kultureller Unterdrückung die Rede. Im Rathaus fühlt man sich missverstanden.

Probleme mit dem Call-Center in Bayern: Der Timmermannsring in Großefehn heißt künftig Lanzstraße. Bild: DPA

So ganz versteht Olaf Meinen die Aufregung nicht. "Es geht doch nur um vier Straßen in einem Gewerbegebiet", sagt der parteilose Bürgermeister der ostfriesischen Gemeinde Großefehn. Das habe doch nichts mit der Unterdrückung einer Minderheitenkultur zu tun, wenn dort die plattdeutschen Straßennamen in hochdeutsche geändert würden, die zudem auch noch "landwirtschaftliche Bezüge haben", wie Bauamtsleiter Erwin Adams erläutert. Und damit stehen die Sieger im Sprachenstreit auf dem platten Land fest.

In der 13.500 Einwohner zählenden Großgemeinde im Kreis Aurich werden die Hersteller von Treckern und Mähdreschern wie Lanz, Hanomag, Holder und Güldner künftig mit eigenen Straßennamen geehrt, und das ist das Ende für Timmermannsring, Schooster-, Snieder- und Hockereestraat*. Die neuen Namen, lobt Adams, "sind auszusprechen und handhabbar".

"Bräist" steht auf einem Extra-Ortsschild an der Einfahrt der Kleinstadt Bredstedt in Nordfriesland: Viele Gemeinden in der Region weisen inzwischen schon an der Straße auf ihre Mehrsprachigkeit hin und geben neben dem hochdeutschen auch den friesischen Namen an.

Der Weg dorthin war lang, erinnert sich Ingwer Nommensen, Vorsitzender des Friesenrats, der Vertretung der Friesen: "Wir haben viele Gegenargumente gehört: Die doppelten Schilder würden Autofahrer verwirren, die Namen seien unklar." Aber die Minderheit blieb hartnäckig und fand politische Unterstützung, vor allem bei der Minderheitenpartei Südschleswigscher Wählerverband (SSW).

Seit 2004 gibt es das "Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum", das doppelte Ortsschilder und mehrsprachige Hinweistafeln in Amtsgebäuden vorsieht. An den Bahnhöfen zwischen Husum und Sylt werden die Haltestellen auf Friesisch und Hochdeutsch ausgerufen, Schilder klären Reisende darüber auf, dass sie in einem Gebiet mit vielen Sprachen gelandet sind: Neben den Amtssprachen Hochdeutsch und Friesisch verwenden die Einwohner des Kreises Nordfriesland Plattdeutsch, Dänisch und den dänischen Dialekt Sonderjysk. "Das ist für viele Menschen ein Grund, die Gegend zu besuchen. Und für uns als Minderheit ist es wichtig, die Sprache nach außen hin symbolhaft zeigen zu können."

Daran etwas zu ändern, nur weil Ortsfremde zweimal hinschauen müssen, hält der Nordfriese für einen falschen Weg. "Dann könnte man gleich alles in Englisch beschildern, oder noch besser auf Chinesisch - das beherrschen weltweit am meisten Menschen." Rund 10.000 aktive Friesisch-Sprechende gibt es, etwa 20.000 verstehen die Sprache. Als Friesen fühlen sich etwa 50.000 Menschen. "Wir gehören zu den Minderheiten ohne eigenes Staatsgebiet", sagt Nommensen. Der Kampf um die Bewahrung der eigenen Sprache sei daher nie mit dem Streben nach politischer Unabhängigkeit verbunden, wie es bei anderen Minderheiten der Fall ist.

Damit die Zahl der Sprachverwender nicht geringer wird, können Kinder in Nordfriesland in den Grundschulen inzwischen Friesisch lernen. Das Angebot wurde bisher gut genutzt, seit drei Wochen ist Friesisch sogar als Schulfach zugelassen. Parallel sorgt sich die Minderheit um die Ausbildung der Friesisch-Lehrkräfte: Die war bisher an der Universität Flensburg angesiedelt, wurde jedoch aus dem Programm der dortigen Germanisten geworfen. Und auch bei Grundschulen droht der nächste Konflikt: Hier konkurriert die Minderheitensprache mit Englisch. Beides auf einmal sei Eltern dann doch zu viel. EST

Arno Rademacher ist das ziemlich egal. "Mir fehlen ob dieses Blödsinns die Worte", schimpft der Vorsitzende der Partei "Die Friesen", die sich für die Rechte der gleichnamigen Minderheit und für die niederdeutsche Sprache in Niedersachsen einsetzt. Gar kein Verständnis hat er für die Begründung des Großefehner Gemeinderates: Kunden und Lieferanten könnten die plattdeutschen Straßennamen nicht richtig aussprechen und verstehen, beschlossen die 30 Gemeinderäte von CDU, SPD, Linkspartei, Bürgerliste und zwei Unabhängigen einstimmig.

"Wenn die Firmen dort mit einem Call-Center telefonieren, sagen wir in Bayern, kann das Probleme mit der Adresse geben", begründet Adams den Beschluss, der aufgrund zahlreicher Beschwerden gefasst worden sei. Vor allem die Hockereestraat habe viel Ärger eingebracht, seufzt Meinen. "Und da mussten wir dann gleich alle Namen in den Gewerbegebiet ändern, damit das einheitlich ist."

"Viele Menschen kämpfen seit Jahren für den Erhalt der plattdeutschen Sprache", erinnert Rademacher. Deshalb würden an vielen Orten alte Flur- und Ortsnamen wieder eingeführt - und nun falle Großefehn diesem Bewahren kultureller Identität in den Rücken. Der Chef-Friese appelliert deshalb an die Gemeinde, ihre Entscheidung zu revidieren: "Wenn wir selber unsere Sprachen, unsere Kultur und Identität so gering schätzen und sie leichtfertig ersetzen, wie wollen wir dann erwarten, dass andere sie achten?"

Er habe "schon Verständnis" für Rademacher, sagt Meinen, der selbst Mitglied im Verein "Oostfreeske Taal" zur Pflege und zum Erhalt der ostfriesischen Sprache ist. In den Kindergärten und Schulen von Großefehn würde natürlich auch Plattdeutsch und Friesisch gesprochen und gelehrt, sagt der Bürgermeister. Und selbstverständlich gebe es weiterhin plattdeutsche und auch friesische Straßennamen in Großefehn, "aber nur in Wohngebieten". Denn die Wahrung von Identität, Geschichte und Sprache sei wichtig, sagt Meinen: "Aber das darf doch nicht zum Selbstzweck werden."

Der Name des umkämpften Gewerbegebiets bleibt indes unverändert: Ulbargen*.

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