Ärzte warnen vor Kohlekraftwerken

Kohlekraftwerke sind nicht nur Klimakiller – sie schleudern auch tonnenweise Feinstaub in die Luft. In Krefeld haben Ärzte unter Verweis auf die Gesundheitsgefahren ein Kohlekraftwerk verhindert, wie es nun auch in Hamburg gebaut werden soll

In China geht fast jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz, im Norddeutschland ist das Thema umstritten: Der Bremer Energieversorger SWB entschied sich im Sommer gegen den Bau, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden Kohlekraftwerke begrüßt. „Der Bau konventioneller Kraftwerke ist die Konsequenz aus dem von ihnen gewollten Ausstieg aus der Kernenergie“, sagt Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) in Richtung SPD und Grüne. Er setzt auf einen Energiemix. Die Grünen kritisieren den niedrigen Wirkungsgrad des vom belgischen Energiekonzern Electrabel in Stade geplanten Steinkohlekraftwerks, Anlagen mit Kraft-Wärme-Koppelung seien doppelt so effizient. Electrabel will neben Stade bis 2012 Fossilkraftwerke auch in Wilhelmshaven und Brunsbüttel bauen. Die SüdWestStrom Kraftwerk plant mit einem spanischen Investor in Brunsbüttel ein 800-Megawatt-Werk. Auch in Kiel soll ein Kohlekraftwerk stehen.  TAZ

VON ELKE SPANNER

Der Wilhelmsburger Arzt Manuel Humburg hätte kaum zu hoffen gewagt, dass ihm jemals jemand diese Frage stellt. Dass das geplante Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg ein Klimakiller wird, ist bekannt. Ebenso, dass der CDU-Senat mit der Genehmigung an den Betreiber Vattenfall seine eigenen klimapolitischen Pläne torpediert. Danach aber, wie ungesund ein solches Kraftwerk für die Wohnbevölkerung ist, hat den Mediziner, der seit 30 Jahren im Nachbarstadtteil Wilhelmsburg praktiziert und dem Verein „Zukunft Elbinsel“ vorsitzt, bislang noch niemand gefragt. Dabei ist offensichtlich, dass die Belastung der Luft mit Feinstaub erheblich zunehmen wird – und damit Atemwegserkrankungen, Allergien und Herz-Kreislauf-Probleme der Menschen in der Region. Humburg: „Besonders Kinder werden unter den zusätzlichen Immissionen zu leiden haben.“

Kohlekraftwerke stoßen selbst mit modernen Filteranlagen Feinstaub aus. Dessen Partikel dringen über die Lunge in den Organismus ein. Laut einer Studie der EU aus dem Jahr 2005 sterben in Deutschland jedes Jahr etwa 65.000 Menschen an den Folgen von Feinstaub. Leidtragende sind vor allem ältere Menschen und Kinder. Studien zufolge haben Kinder in belasteten Gebieten ein um 30 Prozent erhöhtes Asthma-Risiko. Bei Kindern, die etwa durch starken Verkehr ständig Emissionen ausgesetzt sind, ist die Lungenkapazität um etwa zehn Prozent reduziert. Außerdem treten HNO-Infekte um 20 Prozent häufiger auf als bei Mädchen und Jungen in wenig von Abgasen belasteten Gebieten. Die Gefahr, an Neurodermitis zu erkranken, steigt, ebenso das Allergie-Risiko. Das GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit bei München hat ermittelt, dass Schwangere, die viel Feinstaub einatmen, häufiger Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht unter 3.000 Gramm bekommen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält deshalb 5 Mikrogramm lungengängigen Schwebstaubes pro Kubikmeter Luft gerade noch für tolerabel. Das Bundesimmissionsschutzgesetz hat den erlaubten Höchstwert auf 40 Mikrogramm festgesetzt. Der wird in Moorburg und den Nachbarstadtteilen Wilhelmsburg und Harburg schon heute an 13 Tagen im Jahr überschritten. Geht das neue Kohlekraftwerk in Betrieb, werden laut Betreiber Vattenfall zusätzlich 393 Tonnen Feinstaub im Jahr ausgestoßen – und da sind die Feinstaubbelastungen, die beim Transport und dem Entladen der Steinkohle entstehen werden, noch nicht berücksichtigt. Dadurch, errechnet Manfred Braasch vom Umweltverband BUND, wird die Belastung der Region mit den Immissionen mehr als verdoppelt. Feinstaub werde für Moorburg „wirklich ein großes Problem“.

Die Bundesärztekammer hat die Kommunen im Oktober ausdrücklich aufgefordert, die Bevölkerung vor Feinstaubbelastung zu schützen. Im nordrhein-westfälischen Krefeld haben Mediziner es geschafft, unter Verweis auf die Gesundheitsgefahren den Bau eines Kohlekraftwerkes zu verhindern: Eine Initiative aus achtzig Ärzten hat den CDU-dominierten Stadtrat schlichtweg überzeugt. Die Stadt weigert sich seither, den Bebauungsplan für ein neues Kraftwerk des Stadtwerkeverbundes Trianel zu ändern. Von diesem Erfolg ermutigt, kämpfen inzwischen in mehreren deutschen Städten Ärzte gegen die ungesunden Kraftwerke.

In Lünen, am Rande des Ruhrgebietes, haben sich 96 Mediziner zum Protest vernetzt. Im Saarland haben sich 400 Ärzte zusammengeschlossen. In einem offenen Brief haben sie den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU) aufgefordert, das von RWE geplante größte deutsche Kohlekraftwerk im Kreis Saarlouis zu stoppen. „Besonders betroffen werden die Kinder sein, deren Atemwege während der Entwicklung und Ausreifung bereits dauerhaften Schaden durch zusätzlich Mengen von Umweltgiften erleiden müssen“, heißt es in dem Brief. Das saarländische Ärztesyndikat, der Ärzteverband des Landes, hat sich dem Protest angeschlossen. „Das ist ärztliche Pflicht“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Sigrid Bitsch in einem Zeitungsinterview.