Müllvermeidung gegen Meinungsfreiheit

Die Genehmigung eines Infostandes zu einer Schlickdeponie entwickelte sich in Hamburg zur Posse. Eine Bezirksamtsmitarbeiterin wollte durch Eingriff in die Meinungsfreiheit für saubere Straßen sorgen

Es klingt wie ein Schildbürgerstreich, doch in Hamburg war es Realität: Im rot-grün regierten Bezirk Hamburg-Mitte sollte das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ausgehebelt werden, in dem ein öffentliches Flugblatt-Verteilverbot verfügt wurde um Straßen und Plätze sauber zu halten.

Im Stadtteil Billstedt in Hamburgs Osten herrscht heftiger Unmut, da die Hafengesellschaft Port Authority auf dem Spülfeld Kirchsteinbek eine neue Schlickdeponie durchsetzen möchte. BürgerInnen befürchten eine weitere Umweltbelastung und eine Bedrohung artengeschützter Tiere und schlossen sich zur Bürgerinitiative „Kein Schlick in Billstedt“ zusammen. Heute Abend findet auf dem Spülfeld eine Fackel-Mahnwache statt, für den 7. November hat die Initiative einen Infostand auf dem Wochenmarkt beantragt, um die AnwohnerInnen über die „gezielten Falschinformationen“ aufzuklären und für eine Demonstration zu werben.

Das „Fachamt Management des öffentlichen Raums“ des Bezirksamts Hamburg-Mitte erteilte zwar eine „Sondernutzungserlaubnis nach dem Hamburgischen Wegegesetz“ für das Aufstellen eines Infostandes – jedoch mit Zusatz in roter Schrift: „Kein Verteilen von Flugblättern“. Begründung: Das Verteilen von Flugblättern sei grundsätzlich untersagt, da es „zur Verschmutzung öffentlicher Wege“ führen könnte, wenn Passanten Flugblätter nach Erhalt wegwerfen würden, so die Sachbearbeiterin des Raum-Managements.

„Das ist nicht zulässig“, rügte die Verwaltungsrechtlerin Ursula Ehrhardt die Maßnahme: „Hier geht es nicht um Wegereinigung, sondern um ein Verbot der Meinungsäußerung“, betonte die Juristin. „Was sollen die denn sonst machen? Die Leute anspringen und für Tumult auf der Straße sorgen?“

„Das ist ein Eingriff in die Meinungsfreiheit“, urteilte auch der Staatsrechtler von der Fakultät Rechtwissenschaften der Universität Hamburg, Ulrich Karpen. Flugblattverteilen sei notwendig, um die Bürger nachhaltig zu informieren, dazu müsse es möglich sein, die Flugblätter mit nach Hause nehmen zu können. „Im Rahmen der Informationsfreiheit drängt es sich nahezu auf, Zettel zu verteilen“, bekräftigte Karpen im Gespräch mit der taz. „Da ist das Risiko in Abwägung mit Grundrechten hinzunehmen, dass vielleicht mal ein Papier runterfällt“, rügte er. Dafür gebe es ja die Stadtreinigung, so der frühere CDU-Bürgerschaftsabgeordnete. „Es kann ja auch nicht Rauchern ein Innenstadt-Verbot erteilt werden, nur weil jemand mal eine Kippe wegwirft.“

Die Linksfraktions-Abgeordnete Christiane Schneider hatte bereits ihre kleine Anfrage an den Hamburger Senat abgegeben, da ruderte das Bezirksamt am gestrigen Nachmittag offiziell zurück. „Auch im Bezirk Hamburg-Mitte gilt natürlich die Meinungsfreiheit“, bekräftigte Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD). „Da ist eine Mitarbeiterin etwas übers Ziel hinausgeschossen.“ Wohl wahr! KAI VON APPEN