taz Talk mit Autor Andreas Schwab: Künstler müssen leiden

Die Bohème entstand um 1850 in Paris und prägt bis heute künstlerisches Leben in Europa. Ein taz Talk über Freiheit, Rausch und Frauen in der Bohème.

Männer und Frauen trinken und rauchen, ein Stich

Aus dem Band „Szenen aus dem Leben der Bohème“ von Henri Murger (1822-1861) Foto: Kharbine-Tapabor/imago

BERLIN taz | „Ein Künstler muss in Armut leben und ein bisschen frieren. Wenn er dann etwas geschaffen hat, lädt er seine Freunde ein und sie organisiert ein rauschendes Fest.“ So fasst Andreas Schwab das Lebensgefühl der Bohème zusammen.

Der Schweizer Historiker, Ausstellungsmacher und Buchautor hat schon sein zweites Buch über die Bohème verfasst, die um 1850 in Paris entstand und anschließend in ganz Europa Fuß fasste. Mit dem Titel: „Freiheit, Rausch & schwarze Katzen – eine Geschichte der Boheme“. Über ebendiese Lebensform, die die Kunst bis heute prägt, sprach Schwab am 4. März im taz Talk mit Moderator Jan Feddersen.

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Von etablierten Tugendenden der Zeit, wie Streben nach Wohlstand, Sparsamkeit und der Ehe, wollten Künst­le­r*in­nen der Bohème laut Schwab nichts wissen. Sie grenzten sie sich vom Bürgertum ab, deren Doppelmoral sie verachteten, und machten sich gezielt zu Außenseitern. „Wenn du immer mit dem Strom mitschwimmst, kommst Du nicht in die Position, ein richtig gutes Buch zu schreiben“, fasste Schwab die Ansicht der Bohème zusammen.

In seinem Buch zeichnet der Historiker die Lebenswege von Bohémien und Bohémienne bis 1914 nach. Er bezeichnet sie als „absolute Idealisten, die sich der Sache opfern.“ Ihr Ziel war ein individualistischer Lebensstil abseits von gesellschaftlichen Beschränkungen. Dennoch strebten sie nach Ruhm und Anerkennung ihrer künstlerischen Leistungen, die sie durch Ausdruck ihrer Selbst hervorbringen wollten.

Absinth, Opium und die Kunst des Leidens

Dabei suchte die Bohème den Rausch und die Übertretung der Grenzen der Normalität. Absinth und Opium seien in diesen Kreisen angesagt gewesen, weil sie als gefährlich galten, so Schwab. Verbreitet sei der Mythos gewesen, Kunst entstehe nur durch Leiden.

Frauen standen zur Bohème in einem ambivalenten Verhältnis. Einerseits bot sie ihnen ein Rollenmodell, das nicht den Konventionen der Zeit entsprach. Als Beispiel nennt Schwab Franziska Gräfin zu Reventlow, die in WGs wohnte, Dreiecksbeziehungen hatte und ihre Liebhaber frei wählte. Andererseits hatten Frauen es auch unter Bohemiens schwer, als Künstlerinnen ernst genommen zu werden und mussten sich aber gegen große Widerstände durchsetzen, erklärte Schwab. Oft wurden sie auf ihre Rolle als gute Care-Arbeiterinnen, Musen und Projektionsflächen reduziert.

In seinem Buch hat Schwab versucht, Brücken zur Gegenwart zu schlagen. Genau wie heute sei das Zeitalter der Bohème von Beschleunigung und technologischem Wandel geprägt gewesen. Der Trend zur entgrenzten Arbeit werde zwar in einigen urbanen Milieus weitergelebt, habe sich insgesamt jedoch nicht durchgesetzt. Auch versuchten manche Künst­le­r*in­nen weiterhin durch Provokation aufzufallen. Das gesellschaftliche Provokationspotential sei jedoch gesunken; mit Polyamorie und Fäkalkunst lasse sich heutzutage kein Aufschrei mehr generieren.

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