taz.gespräch in Freiburg, 08.03.2016: Wer ist im Team Merkel?

Vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg lud die taz zum Gesprächsabend: Ein Ausloten Grüner Verantwortlichkeiten und möglicher liberaler Perspektiven.

Im Gespräch: taz-Chefredakteur Georg Löwisch mit Susanne Stiefel, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jagoda Marinic und Dieter Salomon (v.l.n.r.) Bild: Alexander Bochmann

Er dürfte auch an den Wahlen zum Migrantinnenbeirat der Stadt teilnehmen: Freiburgs grüner Oberbürgermeister Dieter Salomon (55) ist in Australien geboren, im Allgäu aufgewachsen, seine Mutter stammt aus Österreich. Aber das sagte er nur so zum Scherz. Da hatte das taz Gespräch über „Krisen, Wahlen, Bürgergeist“ zur Landtagswahl in Baden-Württemberg auch gerade erst begonnen. Später kam ihm die gute Laune erstmal abhanden. 

„Der Winfried ist auch nur ein Wolf im Schafspelz”

Jagoda Marinic (38), als Tochter kroatischer Einwanderer in Waiblingen geboren, Leiterin des Interkulturellen Zentrums Heidelberg, Schriftstellerin und taz-Kolumnistin, warf ihm vor, die Grünen hätten zu wenig für die Einwanderung getan, speziell für die ehemaligen Gastarbeiter, die noch immer kein Wahlrecht hätten.

Debatte um Chancengerechtigkeit und Anti-AfD-Demo

Da war es für Salomon aus mit lustig und er wurde laut: „Wo hätten wir denn Mehrheiten gehabt?“ Der Konter hieß: „Die Grünen haben sich aber Chancengerechtigkeit auf die Fahne geschrieben! Es ist unfassbar.“ Auch draußen wurde es lauter.

Die Demo gegen einen AfD-Mann, der seinen Vortrag abgesagt hatte, lief trotzdem vor dem Theater auf. Viele der rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörer, zwischen 20 und 80 Jahre alt, reagierten indes ungehalten. Sie sympathisierten mit Salomon, der zu Unrecht für etwas haftbar gemacht werden sollte. Und das ausgerechnet von Marinic, der sie – wie Salomon auch – zuvor Beifall für die erfolgreichen Integrationstrukturen in Heidelberg zollten, die sie geschaffen hatte.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (64), ehemals Bundesministerin der Justiz („Bitte nicht unter Kohl, sondern im Kabinett Kohl“) und zig Jahre FDP-Mitglied, schlichtete mit komplexerer Argumentation, die darauf hinauslief: „Die Volksparteien haben nie eine Einwanderung gewollt und den Gastarbeitern hohe Schwellen für eine Einbürgerung gebaut. Das musste auch die FDP erfahren, die sich immer für ein entsprechendes Gesetz stark machte.“

Gesprächsreihe im Freiburger Theater: "Schaffen wir das?"

Abwechselnd moderiert wurde das Gespräch im Freiburger Theater – selbst jüngst mit dem Themenschwerpunkt „Schaffen wir das?“ befasst – von Georg Löwisch (42), geborener Freiburger, seit 2015 Chefredakteur der taz und Susanne Stiefel (59), Gründungsmitglied von KONTEXT:Wochenzeitung, dem politischen Wochenmagazin für Baden-Württemberg, das im Internet und gedruckt in der Wochenend-taz vor fünf Jahren startete.

Als die beiden mögliche Koalitionen ansprachen, bekamen sie unter anderem Antworten wie: „Der Winfried ist auch nur ein Wolf im Schafspelz“, so Marinic, mit Blick auf den grünen Tübinger OB Boris Palmer und seine Forderung nach einer schärferen Flüchtlingspolitik.

Zurzeit zählt sie sich zum „Team Merkel“, was man von Guido Wolf, dem CDU-Kandidaten in Baden-Württemberg, nicht sagen könne, sofern es um Geflüchtete gehe. Leutheusser-Schnarrenberger im übrigen – „nicht zu 100 Prozent“ – ist auch im Team. Und Salomon schließt sich nicht aus.

Ein Votum für Grün-Schwarz?

Hat nicht in Freiburg Grün-Schwarz die Mehrheit? Ein Votum also für diese Farbkombi? Das hat niemand so gesagt! Aber: „,Wir schaffen das!' ist einer der besten Sätze die Deutschland passieren konnte“, sagt die parteilose Marinic. Und: „Bei Merkels Verhandlungen über die Flüchtlinge geht es um einen bedenklichen Deal mit der Türkei, aber er ist kaum vermeidbar“, meint Leutheusser-Schnarrenberger.

„Geht es wieder einmal um ,alternativlos' – entweder die Mauer in Griechenland oder der Pakt mit der Türkei?“ – Löwischs Frage blieb unbeantwortet. Es war nicht die einzige. Doch wie über die Themen sprechen und ihnen nicht ausweichen, die den Rechten Zulauf bescheren könnten (Leutheusser-Schnarrenberger)? Wie nicht kulturrelativistisch und verallgemeinernd über sexualisierte Gewalt sprechen (Salomon, der kurz zuvor ein Rede zum Internationalen Frauentag gehalten hatte)? Wie verhindern, dass die Grünen werden wie die großen Volksparteien (Marinic)? Und wie die Flüchtlingsfrage mit der sozialen verbinden (Zuhörer)?

MECHTHILD BLUM, Autorin der taz