Verdächtige Nachbarn

■ Die Personendaten von Sexualverbrechern sind in den USA jederzeit online zugänglich

Nicht nur die Pornobranche nutzt das Internet. Auch die amerikanischen Justizbehörden haben es entdeckt. Für sie ist es ein Instrument der öffentlichen Verfolgung und Aufklärung von Sexualdelikten. Sie gewähren online Zugriff auf Datenbanken, die ausführliche Informationen über Sexualstraftäter mit Personendaten, Foto und Adresse enthalten. In North Carolina etwa läßt sich über das Auskunftssystem des dortigen Justizministeriums von jedem Internet- Anschluß aus feststellen, ob eine bestimmte Person als Sexualstraftäter registriert ist, welche Sexualstraftäter in einem bestimmten Postleitzahlengebiet wohnen oder ob Sexualstraftäter mit dem Namen (oder dem Alias) „Smith“ bekannt sind (sbi.jus.state.nc.us/sor).

Das Ergebnis einer entsprechenden Anfrage ist eine Liste aller Personen, welche die Suchkriterien erfüllen. Sie enthält Namen, Personenbeschreibung, Foto, Adresse, Alter, benutzte Aliasnamen sowie eine allgemeine Beschreibung der begangenen Straftat. Diese Personen stehen keineswegs auf der Fahndungsliste der Polizei. Sie sind wegen Sexualstraftaten bereits verurteilt und haben ihre Strafen verbüßt. Selbst wenn ihre Tat Jahre zurückliegt und die Strafe längst abgegolten ist, tauchen sie in der Liste auf.

Das Register von North Carolina enthält die Daten von über 2.000 Personen. Für Florida veröffentlichen die Strafverfolgungsbehörden ein Register, das über 12.000 Einträge enthält (www.fdle .state.fl.us), für Alaska werden vergleichbare Informationen sowie Angaben zum Arbeitgeber der Personen von der Behörde für Innere Sicherheit angeboten (www.dps.state.ak.us/sorcr). In Kalifornien stellt eine private Initiative Registerauszüge für jeden Landesteil zur Verfügung (sex offenders.net). Die nach Postleitzahlen sortierten Auszüge enthalten Namen, Geburtsdaten und allgemeine Hinweise auf die jeweiligen Straftaten. Weitere Suchmuster innerhalb der Listen – etwa nach Namen, Namensteilen oder Stadtteilen – sind hier nicht möglich, in Indiana jedoch sehr wohl. Dort lassen die Justizbehörden ihr Register auch nach Namen und Wohnorten durchsuchen (www.ai .org/cji). Für Michigan bietet Senator Dave Jaye auf seiner privaten Website die Möglichkeit an, nach Postleitzahlen sortierte Listen anzufordern, die aus Akten der Landespolizei zusammengestellt sind (www.jaye.org).

Die Behörden begründen diesen relativ freizügigen Umgang mit Personendaten damit, daß die Sicherheit der häuslichen Umgebung erhöht werde, wenn Sexualstraftäter persönlich bekannt seien. Zudem sollen die Online- Register Wiederholungstäter abschrecken. Auslöser der staatlichen Informationskampagnen war der Tod der 7jährigen Megan Kanka aus New Jersey, die 1994 in der Nähe ihres Elternhauses von einem Mann angesprochen, verschleppt, mißbraucht und getötet wurde. Der Täter wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft, doch niemand wußte, daß er schon früher des Kindesmißbrauchs überführt worden war. Daraufhin erließ der Gouverneur von New Jersey im Oktober 1994 das sogenannte Megan's Law. Dieses Gesetz unterwirft Personen, die wegen Kindesmißbrauchs verurteilt sind, einer Meldepflicht für die Dauer von zehn Jahren nach Verbüßen ihrer Strafe und verpflichtet Behörden zur Führung eines entsprechenden Registers.

Das Gesetz sah vor allem die behördeninterne und polizeiliche Nutzung des Registers vor und stützte sich auf hohe Rückfallquoten bei Sexualstraftätern. Jedoch war von Anfang an auch eine gezielte Information der Öffentlichkeit vorgesehen: Schwere Fälle sollten öffentlich gemacht, in schwersten Fällen sollten auch Detailinformationen wie die Wohnadresse des Täters bekanntgegeben werden. Die Information der Öffentlichkeit sollte nach der Intention des Gesetzes etwa so geschehen, daß sich Eltern an lokale Behörden wenden und erfragen können, ob eine bestimmte, ihnen bekannte und in der Nachbarschaft lebende Person als ehemaliger Sexualstraftäter registriert ist. Ebenso sind Anfragen vorgesehen, ob in einem bestimmten Wohnbezirk Personen registriert sind – an einen Zugriff auf die Daten über das globale Internet war zunächst nicht gedacht.

Vom Kinderschutz zum Voyeurismus

Dem Vorbild von New Jersey ist die überwiegende Anzahl der Bundesstaaten gefolgt. Im Mai 1996 hat schließlich der Kongreß einem nationalen Gesetz zur Melde- und Registrierpflicht von verurteilten Sexualstraftätern sowie zur Information der Öffentlichkeit zugestimmt; die näheren Bestimmungen blieben den Bundesstaaten überlassen. Die Meldepflicht, das Führen eines Registers sowie die Möglichkeit des Nachfragens durch Privatpersonen ist überall nahezu identisch geregelt. Die jeweils vorgeschriebene aktive behördliche Benachrichtigung der Öffentlichkeit (community notification) allerdings weist Varianten auf. So sieht das Gesetz im Bundesstaat New York vor, über Personen, die wegen schwerster Fälle von Kindesmißbrauch verurteilt sind, periodisch Registerauszüge anzufertigen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In Kalifornien wurde 1996 eingeführt, daß jedermann telefonisch unter Angabe des Namens oder der genauen Adresse einer Person gegen eine Gebühr von 10 Dollar Auskunft einholen kann. 1997 wurden die Daten des Registers mit insgesamt 64.000 wegen Kindesmißbrauchs verurteilten Personen auf einer CD gespeichert, die in den Polizeistationen bereitliegt. Sie erlaubt Anfragen nach Name, einer genau spezifizierten Adresse oder der Postleitzahl eines Wohnortes.

Die Veröffentlichung der Melderegister im Internet ist nur der letzte Schritt einer mehrjährigen Entwicklung. Dennoch ist damit eine neue Dimension erreicht. Niemand muß sich mehr zur nächsten Polizeiwache bemühen oder eine bestimmte Telefonnummer in seinem Bezirk anrufen. Der Zugriff ist vom Wohnzimmer oder vom Büro aus jederzeit möglich, und die veröffentlichten Informationen sind weit umfangreicher. Bisher mußte der Auskunftsuchende den Namen einer Person oder eine Adresse nennen und bekam zur Antwort, ob diese Person registriert ist oder ob unter dieser Adresse jemand lebt, der registriert ist. Die Suchmechanismen im Internet lassen vollkommen andere Auskünfte zu: So kann eine Liste aller registrierten Sexualstraftäter für einen Landesteil erstellt werden, von der aus dann zu jedem ausgewiesenen Namen die persönlichen Detailinformationen abgefragt werden können. Auch die Auflistung aller Sexualstraftäter eines Namens oder eines gemeinsamen Namensteils (zum Beispiel: „Schm*“) ist möglich.

Inzwischen melden sich kritische Stimmen zu Wort. Sie weisen auf verfassungsrechtliche und ethische Bedenken wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte hin, wenn Täter lange nach Verbüßen ihrer Strafe öffentlich angeprangert werden. Medizinische oder psychologische Therapieerfolge sind gefährdet, wenn der Täter im Internet bloßgestellt wird. Zugleich ist umstritten, daß Wiederholungstäter dadurch tatsächlich abgeschreckt werden. Auch wird eine mögliche Diskriminierung gegenüber anderen Kapitalverbrechern erörtert, die wegen des Datenschutzes weitgehend unerkannt bleiben können. Juristische Bedenken bestehen ferner dagegen, daß in den meisten Bundesstaaten die Registrierung auch Straftaten umfaßt, die lange vor der Beschlußfassung zu Gesetzen nach dem Muster von Megan's Law begangen wurden. Dazu hat allerdings der amerikanische Supreme Court im Februar dieses Jahres eine Eingabe nicht angenommen.

Wer sich die Internet-Angebote der Behörden anschaut, wird sich kaum des Eindrucks einer gewissen Hysterie erwehren können. Neben den Fahndungsfotos blinken aufgeregt polizeiliche Alarmsirenen und Abbildungen von Sheriffsternen. Vom Schutz Minderjähriger ist wenig zu sehen, eher kommen Voyeurismus und Sensationsgier auf ihre Kosten. Offenbar ist manchen Behörden darob selbst etwas mulmig geworden. Auf der Website des Registers von North Carolina ist die Warnung zu lesen: „Diese Informationen dienen dem Schutz der Öffentlichkeit. Wer sie zu einem Vergehen gegen andere Personen mißbraucht, wird strafrechtlich verfolgt.“ In Kalifornien darf das Online-Register nicht bei Kreditgewährungen, Arbeits- und Wohnungssuche, Versicherungsfragen oder ähnlichem eingesetzt werden, und die Website weist darauf hin, daß die Weitergabe der Daten strafbar ist.

Von solchen Skrupeln ist die Polizei von Indiana weniger geplagt. Sie empfiehlt, das Register eifrig zu nutzen, denn Arbeitgeber, die eine registrierte Person beschäftigen, können mit zur Verantwortung gezogen werden. Deshalb rät die Website: „Wenn Sie im Zweifel sind, ob Sie eine Person beschäftigen, deren Name hier erscheint, wenden Sie sich an Ihren Anwalt.“ Georg Disterer

disterer@hotmail.com