Von der Quasselbude zum offenen Diskurs

Wie die Herausforderungen der Berliner Baupolitik bewältigt werden können: Die Konzentration der Kompetenzen ist ein erster Schritt. Das „Stadtforum“ könnte schließlich die notwendige städtebauliche Debatte vorantreiben ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Als die SPD im Koalitionspoker ihre Finanzsenatorin aus dem Spiel nahm, konnten alle, die sich mit der baulichen Entwicklung Berlins beschäftigen, allenfalls Krokodilstränen vergießen. Denn damit fiel deren Interessengebiet an jene Partei, die allein dafür Konzepte erarbeitet hat. Zudem übernahm mit Peter Strieder eine Person das Ressort, die in der Vergangenheit für die Vorschläge der Fachöffentlichkeit stets ein offenes Ohr hatte. Den größten Gewinn mochte man schließlich in der Konzentration der Kompetenzen sehen. Die Blockade zwischen den bisher getrennten Verwaltungen für Verkehr und Stadtentwicklung, deren deutlichstes Denkmal die unterschiedlichen Fahrbahnbreiten Unter den Linden sind, schien damit überwunden.

Freilich kommt der klare Kurs nicht automatisch. Schon bisher verlief eine der Hauptkampflinien nicht zwischen CDU- und SPD-geführter Verwaltung, sondern innerhalb des Klemann-Ressorts: Automobilisten und Urbanisten konnte der Hausherr befrieden, indem er ihnen getrennte Spielwiesen überließ. Erstere bekamen telematische Forschungs-, letztere periphere Wohnvorhaben, die keiner braucht. Kaum anzunehmen, dass der neue Senator allein mit Machtworten dieses fruchtlose Gegeneinander beenden kann, zumal sein Amt nun mit über 3.000 Mitarbeitern die größte Kommunalbehörde Deutschlands ist.

Tatsächlich geht es für Berlin mittlerweile um mehr als die Bewältigung binnenstädtischer Bauprobleme. Diese wurden seit der Wende weitgehend abgearbeitet, zumindest aber angegangen. Die Frage bleibt, wie Berlin daraus Gewinn ziehen kann. Dass sie offen ist, haben alle, die sich mit Stadtentwicklung befassen, selbst zu verantworten. Viel zu lange handelten sie isoliert von anderen Disziplinen und beseelt von dem Glauben, der Boom werde sich von allein einstellen. Ihre Projekte richteten sie fast ausschließlich an baukünstlerischen Gesichtspunkten aus – wofür die Entwicklungsgebiete das signifikanteste Beispiel sind: Milliardenschwere Verbindlichkeiten wurden an Orten eingegangen, wo letztlich nur stadtbildstörende Industriebrachen aus dem Blick zu bekommen waren. Vorhaben wie dem medizinischen Forschungscampus Buch, bei dem das nicht der Fall war, das aber die Stadt mehr als nur baulich voranzubringen versprach, genehmigte man dagegen kaum die nötigsten Instandhaltungen.

Im Ergebnis standen die Bauten oft neben ihren Benutzern. Erst die Leerstände haben Baupolitiker zur Kenntnis nehmen lassen, dass die Hardware der Stadt erst durch ihre Software in Betrieb genommen werden kann. Da die intensiven Investitionen in die Infrastruktur die einzige Erbmasse sind, mit der die Stadt heute wuchern kann, hilft es nicht, in Zukunft einfach nur noch in Köpfe statt in Beton zu investieren. Vielmehr gilt es, das Bauen und seine Paten besser mit jenen zu vernetzen, welche die Prozesse in Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft am Laufen halten. Die entsprechenden Adressaten sitzen dabei nicht allein in der Landesregierung. Das gilt noch mehr für den zweiten Arbeitsschwerpunkt: Nicht nur Berlins Baupolitiker müssen ihren Inselblick ablegen und Verbündete für die Sache der Stadt suchen. Bisher war es schlecht um die Außenbeziehungen Berlins bestellt: So konnte die Stadt trotz ihrer Fertigkeiten etwa in Sachen Plattenbausanierung den Markt in Osteuropa nicht bestellen, erging sich mit Brandenburg in einem ruinösen Konkurrenzkampf und konnte die raumblinden Aktivitäten des Bundes, etwa bei der Liegenschaftsaktivierung und der Eigenheimförderung, für die der leere Schloßplatz und der boomende Einfamilienhausbrei im Umland die besten Beispiele sind, nur erdulden. Daher gilt es, die Kompetenz auf dem Feld des Städtebaus international zu vermarkten, Allianzen zu schmieden und nicht zuletzt überkommunale Regierungsapparate an ihre Verantwortung für die Stadt zu erinnern. Dafür wird die Berliner Baupolitik – solange der Regierende Bürgermeister sie so wenig zu seiner Sache macht wie bisher – eine Art Nebenaußenpolitik betreiben müssen.

Dass Peter Strieder diese Herausforderungen erkennen wird, kann man getrost annehmen, da er schon häufig über sein Kerngeschäft hinaus zu regieren versuchte. Freilich ist der neue Supersenator für sie zwar dem Namen nach zuständig, faktisch entziehen sie sich jedoch seinem Zugriff. Angesichts dieser Ohnmacht hilft nur eins: Lobbyarbeit.

Das Forum, die sich dafür anbietet, existiert schon und sogar im Hause Strieder: das Stadtforum. Von seinem Amtsvorgänger Hassemer gegründet, hat es sich in über 75 Sitzungen eine Breitenwirkung erarbeitet, die alle anderen später dazugekommenen Debattierrunden übertrifft. Dass in London, Potsdam, Venedig und Wien und der Öresund-Region inzwischen nach Berliner Modell ähnliche Foren entwickelt wurden, mag befördern, sie über die Stadtgrenzen hinaus zu tragen. Dass Kritiker das Stadtforum immer häufiger als „Quasselbude“ abqualifizieren, erweist sich für die oben beschriebenen Aufgaben, bei denen es ja mehr ums Ideelle als ums Materielle geht, sogar noch als Vorteil. Zudem existiert mit den halb öffentlichen „Planungswerkstätten“ der Prototyp für Modernisierungsausschüsse, der bereits bewiesen hat, wie die wirklich handfesten Konflikte wirkungsvoll ausgetragen werden können.

Der Erfolgsfaktor beider Veranstaltungsreihen liegt in der Konstruktion, bei der die öffentliche Hand nur mehr die Infrastruktur zur Verfügung stellt, Organisation und inhaltliche Ausrichtung aber einem von ihr unabhängigen Expertengremium überlässt. Das reicht indes nicht. Will der Think-Tank zukünftig mehr sein als Berater in Sachen Stadtbaukunst, muss sich die Lenkungsgruppe internationaler und fachübergreifender zusammensetzen sowie systematischer Institutionen außerhalb des Senats als Partner suchen. Vor allem aber muss die „Tagesordnung“ in einen Prozess überführt werden. Dass das Stadtforum bald wieder einmal über die Spreeinsel und damit über den zu seinem Namen passenden Ort debattieren lässt, ist kaum mehr als ein Anfang.