Von der Zelle in die Platte

■ Auf Schleichwegen: Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“ (Wettbewerb)

Niemand wird Volker Schlöndorffs „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ernsthaft für einen guten Film halten, aber es war trotzdem ein wichtiger Film. Weil er die Inbrunst und Undifferenziertheit des antikapitalistischen Polit-Diskurses in seiner Machart spiegelte und damit immerhin zum zeitgeistigen Pamphlet wurde, das die Richtigen attackierte.

„Nieder mit dem Kapitalismus!“, ruft ein Häuflein stoppelbärtiger, verwuschelter RAFler, das zu Beginn seines Films „Die Stille nach dem Schuss“ eine Bank überfällt. Sie heißen Rita, Andi und Friederike, sie dreschen die Phrasen, die man kennt, und sie wollen den Ausgebeuteten dieser Welt helfen, ob in Mosambik, Vietnam oder wo auch immer. Zu Beginn sind sie in Deutschland, danach in Paris, wo ein Polizist erschossen wird. Dann springen wir in die DDR, und nach zehn, fünfzehn Minuten ist es auch schon vorbei mit der RAF. Jetzt geht es nur noch um eine: die Ex-Terroristin Rita Vogt (Bibiana Berglau), die sich entschließt, in der DDR ein neues Leben zu beginnen.

Dieser Anfang, der die RAF sozusagen über ihre B.Z.-Schlüsselreize inszeniert (Waffen, Parolen, Überfall, ein bisschen Sex, ein bisschen Guerillaromantik), hat in seiner Oberflächlichkeit etwas merkwürdig Verschämtes. Und weil Volker Schlönforff bereits in diesen ersten entscheidenden Minuten vor seinem Thema kneift bzw. vor dem, was seine Protagonistin bewegt, enttäuscht oder verleitet haben mag, erzählt sein Film weder von deutscher Zeitgeschichte noch von einer ehemaligen RAF-Terroristin (ob sie nun Inge Viett heißt oder nicht). „Die Stille nach dem Schuss“ ist irgendeine Geschichte einer Frau, die irgendwann in den 70ern in der DDR untertaucht, weil sie im Westen irgendetwas angestellt hat.

Im Osten kontaktiert Rita einen sympathischen Stasi-Offizier, der beim Würstchengrillen Weltanschauliches von sich gibt und sie als Susanne Schmidt mit neuem Lebenslauf in eine Textilfabrik einschleust. Wie hoch mag der Fall gewesen sein von der großen Utopie zum spießigen Arbeitsalltag im VEB Modedruck? Vom Guerilla-Training zum Plattenbaupanorama mit „Konsum“-Wodka? Rita bleibt ein leise lächelnder Alien, anpassungsfähig, konfliktfrei.

So wie Schlöndorff bereits in seinem „Unhold“ visionslos alle Kapitel des Romans von Michel Tournier abhakte, inszeniert er hier die chronologischen Stationen einer mehr oder weniger fiktiven Biografie. Völlig auf der Strecke bleibt die Spannung zwischen dem überzeugten Aktionismus von einst und dem Preis, den die Hauptfigur dafür zahlen muss: permanente Fremdheit, ewiges Lügen, die zwanghafte Amnesie eines Lebens mit ausgelöschter Vergangenheit. Wobei die Bruchlosigkeit von Drehbuch und von Inszenierung Hand in Hand gehen. Schlöndorff ist nicht der Mann, der Einsamkeit, Verzweiflung oder auch nur Zweifel auf die Bildebene verlagern kann.

Die DDR – eine Ausstattungsleistung. Pittoreske Bürodamen, triste Betriebsfeiern, Ostseegefühle als sozialistisches „Miami Beach“. Auch hier interessiert sich die Kamera nicht für die Perspektive einer Frau, die dieses Land halt auch gut finden musste, um vor sich selbst zu bestehen. Die flammende prosozialistische Kantinenpredigt, die Schlöndorff seiner Heldin noch nach dem Mauerfall in den Mund legt, untestellt ihr zum Schluss noch einmal die parolengetränkte Blindheit der RAF-Anfangssequenzen. „Die Stille nach dem Schuss“ ist weder ein provozierender noch ein ärgerlicher Film. So wie er sich am politischen Zündstoff seines Themas vorbeischleicht, ist er einfach überflüssig. Katja Nicodemus„Die Stille nach dem Schuss“. Regie: Volker Schlöndorf. Mit Bibiana Beglau, Martin Wuttke, Harald Schrott u. a. Deutschland, 104 Min.; heute, 21 Uhr, Royal Palast; 18. 2., 22.45 Uhr, International