Die Mitte zur Berliner Republik

Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist zum Thema von nationaler Bedeutung avanciert. Linke und konservative Befürworter plädieren für ein Symbol öffentlicher und politischer Nutzung

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es war eine Provokation. Eine Kunststofffassade hing wie ein riesiges Poster in der Berliner Stadtmitte. Hinter dem „Vorhang“ tat sich eine Fotoausstellung auf, die altbackener nicht sein konnte. Und auf einem Podium versammelten sich tagtäglich Anhänger des konservativen „Fördervereins Berliner Stadtschloss“, um für ein Projekt zu werben, das mit Misstrauen betrachtet wurde: die Rekonstruktion des Stadtschlosses.

Die künstliche Schlossfassade aus dem Jahre 1993 ist heute Geschichte, das Misstrauen gegenüber einem Schlossbau ebenso. Seit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sich für den Wiederaufbau des 1950 vom Ostberliner Magistrat gesprengten Barockbaus ausgesprochen hat, vollzieht sich eine Wende in der Schloss-Debatte, die weniger von Argumenten altberlinischer, wilhelministischer Schloss-Fans als vielmehr von der „nationalen Frage“ (Michael Naumann) nach städtebaulicher Relevanz und politischer sowie öffentlicher Nutzung des Ortes geprägt ist.

Neu an der Schloss-Diskussion ist auch die parteiübergreifende Koalition konservativer und liberaler Akteure: Zu den Schloss-Befürwortern wie den Verlegern Klaus Wagenbach und Wolf Jobst Siedler oder dem Publizist Joachim Fest haben sich der Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, die Berliner Kultursenatorin Christa Thoben (CDU) oder Bundesbauminister Reinhard Klimmt (SPD) gesellt. Jenen geht es um mehr als um Nostalgie. Hinzu kommen „linke“ Stadthistoriker und Soziologen, „die eigentlich frei sind von den Gespenstern der Vergangenheit“, wie der Essayist Michael Rutschky betont: etwa der Berliner Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm oder der Historiker Wolfgang Schäche. Ihnen allen ist die Interpretation gemein, dass ein neues Stadtschloss nicht die Sehnsucht nach feudalem Pomp wiederzubeleben habe, sondern den einzigen Ausweg aus „dem Loch“ in der geschundenen Stadtmitte bildet. „In der Schloss-Diskussion“, sagt Hoffmann-Axthelm, „geht es nicht um einen Kreuzzug gegen die Moderne, sondern darum, die in der Moderne steckende Geschichtsfeindlichkeit zu überwinden.“ Die Rekonstruktion des Schlosses könne an die „verlorene Mitte“ wieder „anknüpfen“.

Das ist nur die halbe Wahrheit. Auch Schröder und Naumann haben erklärt, dass der Aufbau des Stadtschlosses auch ein Akt zur symbolischen Wiedergewinnung einer nationalen Mitte bedeuteten würde. Wo sonst, wenn nicht im „historischen Zentrum“, sollten repräsentative staatliche oder kulturelle Nutzungen stattfinden, so Naumann. Dass zugleich– durch den Abriss des Palastes der Republik – erneut die Zerstörung durch Geschichtsfeindlichkeit in Kauf genommen wird, wischen die neuen Schlossbefürworter vom Tisch. Mittelmäßige Architektur, wie der ungeliebte Palast, habe die Stadt genug. Mittelmäßigkeit, die der Rekonstruktion des Barockbaus als Symbol für ein neues Zentrum nicht im Wege stehen dürfe.

Wasser auf die Mühlen für den Wiederaufbau ist auch, dass sich die Anstrengungen Berlins, den Ort von privaten Investoren für ein Hotel- und Kongresszentrum entwickeln zu lassen, zerschlagen haben. 1999 hatte der Berliner Senat nach einem so genannten Investorenbekundungsverfahren einräumen müssen, dass kein privater Bauträger in der Lage sei, ein Gebäude in der Größe des Stadtschlosses zu finanzieren. Nicht zuletzt deshalb werden der Bund und das Land nun eine Expertenkommission berufen, die Nägel mit Köpfen macht und die künftige Gestaltung des Platzes vorbereitet. Die Rahmenbedingungen liegen fest: öffentliche Nutzung, historische Kubatur, politische Symbolik. Das sieht wie ein Stadtschloss aus.