Idealbau der Weltkulturen

taz-Debatte zum Schlossplatz (Teil 5): Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, plädiert für die Konzentration der Sammlungen auf dem Museums-Schloss-Bezirk

Interview KATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Vier Kilo fast wiegt der Bildband „Schätze der Weltkulturen“, und das ist kein Wunder: Das Buch erzählt erstmals die Entstehungsgeschichte aller siebzehn Museen, der Staatsbibliothek und des Preußischen Staatsarchivs. Ist diese Gesamtsicht Teil einer neuen Strategie, die institutionelle Zuordnung und das territoriale Anspruchsdenken der einzelnen Museen zu überwinden?

Klaus-Dieter Lehmann: Das ist Programm. Ich bin der Überzeugung, dass man heute durch institutionelles Denken keine neuen Zusammenhänge erfährt. Nur durch das Zusammenspiel aller Erzeugnisse der Kunst und der intellektuellen Leistungen kann man neue Überlegungen anstellen. Ich sehe in den Sammlungen das kulturelle Gedächtnis von 6.000 Jahren Geschichte und in der Institution eher eine organisatorische Markierung. Hier hat die Stiftung eine große Chance.

Das Buch erscheint in einem Moment, in dem Ihre Vorschläge, mit den Museen der außereuropäischen Kulturen aus Dahlem an den Schlossplatz zu ziehen, zusammen mit dem Plan des Generaldirektors Peter-Klaus Schuster, die Gemäldegalerie auf die Museumsinsel zurückzuholen, die „Schätze der Weltkulturen“ auch räumlich verdichten wollen. Bereitet das Buch diese Zukunft vor?

Es ist ein Werbeträger, weil es das erste Mal deutlich macht, welcher Reichtum in dieser Stiftung Preußischer Kulturbesitz überhaupt angelegt ist. Das Buch gibt die Chance, die Eigenart, Entstehungsgeschichte und Spitzenstücke kennen zu lernen und davon zu überzeugen: Solch eine Sammlungskompetenz ist weltweit interessant.

In Ihrem Konzept scheint es weniger um das Schloss als um den Standort Schlossplatz zu gehen.

Wir müssen uns erst für einen Inhalt begeistern, bevor wir ein Gefäß festlegen. Daraus muss man die Gebäudeidee ableiten.

Ihr Buch zeichnet den Ursprung der Sammlungen nach: Die Geschichte der Museumsinsel begann im Alten Museum 1830 mit der ersten Transformierung der Königlichen in eine öffentliche Sammlung und reicht bis zum systematischen Ausbau einer über Europa hinausweisenden Kulturgeschichte. Aber fast in jedem Kapitel markiert der Nationalsozialismus einen Bruch, den der Krieg und die Teilung der Stadt vertieften. Wischt man mit der neuen Konzentration der Museen nicht die Spuren von Faschismus und Teilung beiseite?

Nein. Die negativen Einwirkungen des Faschismus und der Teilung sind deutlich vorhanden. Beispielsweise sind in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts die Lücken, die die Aktion „Entartete Kunst“ hinterlassen hat, spürbar und sichtbar. Der Krieg selbst ist auch in seinen Wunden deutlich vorhanden, denken Sie nur an das Neue Museum. Bei dem Wiederaufbau wird in dem Treppenhaus, das total zerstört war, keine Restaurierung versucht, die all dies zudeckt, sondern wir erhalten die Vergangenheit erinnerbar: Die zweizügige Treppe von Stüler wird wieder eingebaut, aber ohne Ausmalungen, zwischen den nackten Ziegelwänden.

Zudem dokumentieren wir das Thema der Beutekunst. Das ist keine Verwischung der Geschichte, die wird festgehalten.

Als der Bau der Museumsinsel begann, schrieb der Geschichtsphilosoph Georg Friedrich Hegel nur wenige Straßen weiter an seiner Ästhetik. Er sah die Kulturen der Welt als Formen der verschiedenen Bewusstseinsstufen der Menschheit auf dem Weg zur Vollendung der Geschichte. An ein solches Ziel glauben wir heute nicht mehr.

Ist deshalb die Idee einer „Vollendung der Museuminsel“ nicht merkwürdig, weil sie ein Ideal des 19. Jahrhunderts aufnimmt?

Das sehe ich anders. Was wir bei der Museumsinsel wiederherstellen, ist, Zeit und Zusammenhänge erfahrbar zu machen. Wir machen sehr deutlich, dass diese Ideen von Wilhelm von Humboldt sind. Gleichzeitig wenden wir uns dagegen, alles nur durch eine europäische Brille zu sehen und in einer aufsteigenden Linie zu ordnen im Sinne einer Vollendung. Wir wollen die Kulturen in der jeweiligen Kontextsituation der Völker betrachten und sie nicht als verlorene abstufen. Das wird durch die Gegenübersetzung von Museumsinsel und der Eigenwilligkeit der Kulturen der Welt auf dem Schlossplatz betont. Dies ist eine gleichrangige Sicht!

In den „Schätzen der Weltkulturen“ skizzieren die kurzen Einleitungtexte die Motive der Gründergeneration: Wie zum Beispiel das Interesse für die Vor- und Frühgeschichte, die zuerst mit „vaterländischen Alterthümern“ belegt wurde, aus dem Wunsch nach einer nationalen Identität entstand. Oder dass sich Wilhelm Bode für die byzantinische Kunst eingesetzt hat, um eine Lücke zwischen Antike und Mittelalter zu schließen. So vermittelt das Buch eine Vorstellung, wie an der Vollständigkeit der Erzählung von Geschichte gearbeitet wurde. Heute sehen wir das als eine Konstruktion des 19. Jahrhunderts. Wäre es deshalb nicht logischer, die Idee des Ganzen aus seinen zerbrochenen Teilen herauszulesen, als das Ideal zu rekonstruieren?

Gerade die Museumsinsel gibt uns eine große Chance. Wir haben dort weit über eine Million Objekte, überwiegend in den Depots, die damals von Wissenschaftlern, besonders des Deutschen Archäologischen Instituts, ausgegraben worden sind. Das sind Serien, Bibliotheken in Stein. Diese Serien lassen völlig neue Themen zu.

So müssen wir nicht mit den Fragen eines Bildungsbürgers an die Sammlungen herangehen, sondern können sie mit Fragen, die heute interessieren, aufschließen.

Sie beschreiben die Museen als einen wichtigen Baustein für die Umwandlung von der preußischen Residenz Berlin in die Hauptstadt des Deutschen Reiches nach 1871: Mit den Museen hat Berlin sich auch gegen die alten Kulturmetropolen Europas behauptet. Ist die Situation mit heute vergleichbar?

Das erscheint vergleichbar, wenn auch mit unterschiedlichem Gestus. 1870/71 erfolgte die Legitimation des Deutschen Reiches mit einer gewissen imperialen Geste, und dazu nutzte man auch die Kultur. Aber diese Darstellung wäre zu einfach! Hinzu traten Kennerschaft und das vitale Interesse des Publikums. Heute geht es nicht mehr um den imperialen Wettbewerb, sondern um die Dialogfähigkeit. Wir suchen ja gerade mit London, Paris und Madrid eine Reihe von Kooperationen. Der kulturelle Reichtum Europas ist seine Vielfalt.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren lieferten der Berliner Kultur die Zwanzigerjahre, die Zeit der Weimarer Republik, viele Stichworte. Seit der Wiedervereinigung tritt dagegen Preußen wieder mehr in den Vordergrund.

Unser Geschichtsbild ist durch die brutale und menschenverachtende Nazizeit wie vor eine Mauer gerannt. Wir haben nicht mehr gewagt, über die Nazizeit hinauszudenken. Ich bin der Auffassung, dass es wichtig ist, Geschichte anzunehmen und nicht zu verdrängen. Dazu gehört auch, dass Preußentum und Nazitum nicht deckungsgleich sind. Das ist eine zu einfache Rechnung. Es gibt die negativen Seiten Preußens wie das Machtstreben, aber es gibt auch ein ungeheuer großes Potenzial an Kunst und Wissenschaft; darum geht es in dem Buch. Gerade nach den Napoleonischen Kriegen, als Preußen am Boden lag, kamen die kreativen Ideen zur Gründung der modernen Universität und Wissenschaft. Dieses Spektrum an Preußen wollen wir vermitteln, damit die Abwehr, die wir sonst haben, uns nicht geschichtslos macht.