Fische im Internetz

In Schweden ticken die Uhren schneller: Die Netzzeitung Nettavisen feiert Erfolge bei nordischen SurferInnen

OSLO taz ■ Der Frau am Gemüsestand und dem Mann hinter der Fischtheke wird die neue Zeitung nicht gefallen. Man kann nämlich weder den Blumenkohl noch die Makrele darin einpacken. Nachdem sie 1996 in Norwegen als Nettavisen („Netzzeitung“) ihre Premiere hatte, soll im kommenden Monat auch eine deutsche Ausgabe der Nur-Internet-Zeitung gestartet werden. Wann genau will Nettavisen-Chef Knut Ivar Skeid noch nicht verraten, doch angeblich spätestens zum Herbststart der Bundesliga am 11. August.

Sportnachrichten sind neben Wirtschafts- und Börsenmeldungen nämlich die Themen, nach denen die Nettavisen-LeserInnen sich an ihrem Computer meistens vorwärts klicken. Hier hat die Zeitung im Internet den deutlichsten Informations- und Geschwindigkeitsvorsprung vor anderen Medien. Und der Zusammenhang zwischen Trefferhäufigkeit und Büro gibt Hinweise auf die NutzerInnen. Das Nicht-Blatt hat sich mit seiner norwegischen Versuchsausgabe schnell den Spitzenplatz unter den Zeitungsangeboten im Internet gesichert und hält ihn seither.

Begonnen hatte man am 1. November 1996 mit einem Kapital von 7 Millionen Mark, dazu 22 JournalistInnen. Als „billige Möglichkeit eine komplette Zeitung zu machen“ sah Chefredakteur Odd Harald Hauge das Internet. Agenturmeldungen, „normale“ Inhalte, aber auch eigenständig recherchierte Themen bilden das inhaltliche Gerüst der Nettavisen, die 20 bis 30 Mal täglich das Aussehen ändert und immer mit den letzten Spitzenmeldungen aufmacht. Das meiste wird relativ konzentriert abgehandelt, doch bei umfangreicheren Themen können sich die LeserInnen zu ausführlicherer Information weiterklicken.

Nettavisen hat schnell Spuren bei den Internetausgaben der gedruckten Tageszeitungen hinterlassen, nicht nur konzeptuell, sondern auch inhaltlich. Hatten sich die Druckzeitungen zunächst darauf beschränkt, im Internet einige Leckerbissen aus der Druckzeitung zu präsentieren, gibt es nun oft eigene Internetredaktionen und -ausgaben. Den Vorsprung der Nettavisen holten sie aber nicht ein. Wohl auch deshalb, weil man gezwungen ist, sich die Spitzengeschichten für die Druckausgabe aufzusparen, damit die Konkurrenz sie nicht vorher abkupfern kann. Wirtschaftlich ging es für Nettavisen deutlich tröger los. Man glaubte beim Start nämlich, auf zwei Beinen stehen zu können: Anzeigenerlöse und Abonnementgelder. Chefredakteur Hauge im Herbst 1996 hoffnungsvoll: „Wir müssen so gut werden, dass ausreichend viele uns lesen wollen, auch wenn wir dafür Geld nehmen.“ Nach einigen kostenfreien Schnuppermonaten wollte man auf eine Bezahlausgabe umstellen, die jährlich runde 300 Mark kosten sollte.

Ein Jahr später gab Hauge zu: „Wir werden nie eine Bezahlzeitung. Internet ist wie Radio und Fernsehen, wo es auch gratis ist, am Knopf zu drehen.“

Das plötzlich fehlende Einnahmebein machte Nettavisen drei Jahre lang zu einem Verlustgeschäft. Nachdem das Eigenkapital zur Neige ging und die Konkurrenzmedien schon schadenfroh reagierten, kaufte sich der norwegische Medienkonzern Orkla mit neuer Kapitalspritze ein, im August letzten Jahres kaufte das schwedische Internetunternehmen Spray den Internetzeitungspionier vollständig auf. Die weit über dem Börsenwert liegende Kaufsumme von umgerechnet 45 Millionen Mark begründete man bei Spray schon damals damit, dass man sich das Nettavisen-Konzept sichern und in anderen europäischen Ländern umsetzen wolle.

Seit Ende letzten Jahres schreibt man angeblich keine roten Zahlen mehr. Die deutschen SurferInnen sollen nun das kontinentale Startbrett werden, Italien steht als nächste Option auf dem Programm. 20 JournalistInnen in Berlin und Aussenbüros zunächst in Frankfurt, später auch in Hamburg, Düsseldorf und München sieht das Konzept vor, zu dessen Einzelheiten man sich noch bedeckt hält. Und auch wenn auf Gemüse- und Fischmärkten unbrauchbar, scheint laut Hauge zumindest eines unbestreitbar: „Zehn von zehn Bäumen wählen die Netzzeitung.“

REINHARD WOLFF