Schuld und Schaubilder

Stellvertretende Systemfehler: Der österreichische Konzeptkünstler Oliver Ressler stellt im Künstlerhaus Bethanien sein Anti-Expo-Projekt „Nachhaltige Propaganda“ vor

Der Flop der Expo war abzusehen. Seit man sich mit Verona Feldbusch und Kneipenrock so rührend in Hannover um Besucher bemüht, dürften selbst ganz harte Kritiker Mitleid mit dem Mammutunternehmen haben, dass seine technischen Innovationen verzweifelt ästhetisch zu vermarkten sucht – als Familienfest mit Grillwurst. In ihrem Scheitern sieht die Expo immer mehr nach Trash aus.

Bei aller Hilflosigkeit der Präsentation und trotz der katastrophalen Publikumszahlen ist die Weltausstellung für Oliver Ressler kein misslungenes Produkt der Eventkultur, sondern immer noch Propaganda, der Ausdruck „einer gigantischen Selbstinszenierung kapitalistischer Macht“. Deshalb setzt der Wiener Konzeptkünstler im Künstlerhaus Bethanien weiter auf Gegenöffentlichkeit. Schließlich geht es auf der Expo um eine zukünftige Politik, die Umwelt, Modernisierung oder überhaupt menschliche Lebensbedingungen nur mehr technisch wahrzunehmen und abzuwickeln droht. Ressler bleibt misstrauisch: Seit der Rio-Konferenz 1992 werden seiner Meinung nach ökologische Fragen in Begriffen wie Verschlankung, Effizienz und Bevölkerungskontrolle diskutiert – ohne dabei auf „Herrschaftsverhältnisse“ einzugehen.

Dieser Konflikt wird von ihm auf neun Bildtafeln angeprangert. Zur besseren Darstellung der Widersprüche hat Ressler Slogans nach Art von Mac-Computerbefehlen mit Simulationsgrafiken aus dem Expo-Werbe-Folder kombiniert. So liest man auf einem Bild etwa: „Die Expo ist eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Imagekampagne für Konzerne“ oder wenig später: „Systemfehler – Die Schuld an der Umweltzerstörung wird von der kapitalistischen Produktionsweise zu den VerbraucherInnen verlagert“. Das ist für eine Kunstausstellung ungewöhnlich scharf formuliert und gewöhnungsbedürftig: Außer den kämpferischen Schaubildern, einigen grün an die Wände geschriebenen Phrasen aus dem Umweltschutz und einem 44-Minuten-Video mit Statements von mehreren Expo-GegnerInnen gibt es wenig zu sehen, aber viel zu denken.

Gleichwohl sucht Ressler nicht nach neuen Anschlüssen. Mit seinem Projekt arbeitet er sich an der Expo nur als einem Stellvertreter für verfehlte Politik ab. So konkret die Auseinandersetzung mit der Allgegenwart des Kapitals dabei auch aussehen mag, die Probleme sind in der Wirklichkeit noch viel komplexer. Tatsächlich hat die Deindustrialisierung in den ehemaligen Ostblockstaaten zur Verbesserung der Umweltbedingungen beigetragen; und natürlich ist Geburtenkontrolle nicht bloß der Versuch, den ärmeren Teil der Menschheit an einem selbstbestimmten Gebären zu hindern, sondern der Vorschlag für eine aktive Familienpolitik vor Ort, die in vielen Ländern von restriktiven religiösen Diskursen dominiert wird, die selbst wieder machtbestätigend wirken. So kann man in Afrika auch über Aids nicht ohne den wissenschaftlichen Forschungsstand des Westens diskutieren.

Diese Ambivalenzen werden von Ressler in der medialen Übersetzung ausgeblendet. Bei ihm ist die Zuschreibung eindeutig: „Die Expo präsentiert eine ideologische Treuhandschaft des Nordens über den Süden, die zur Not auch militärisch durchgesetzt wird.“ Mit der formelhaften Zuspitzung anstelle inhaltlich gefächerter Argumentationen fällt das Projekt jedoch hinter den Anspruch zurück, die im Ausstellungstitel angekündigte „Nachhaltige Propaganda“ zu liefern. Die Nachhaltigkeit fehlt: Ohne alternative Lösungsvorschläge bleibt es bei einer in präzise Bilder gefassten Agitation. Deshalb entsteht aber das gleiche Problem wie auf der Expo, von der Jörg Bergstedt im Video erklärt, sie würde lediglich technische Versprechungen visualisieren, um die „sanfte Ausbeutung“ zu verschleiern, auf der die Weltausstellung beruht. Das Gegenteil ist auch eine Falle.HARALD FRICKE

Bis 13.8., Mi. –So. 14 – 19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2