Der Palast der Republik lebt

Zehn Jahre nach der Schließung ist wieder Leben im Palast – zumindest virtuell. In Berlins Mitte stehen sich längst nicht nur Schloss- und Palastfans gegenüber, sondern auch zwei Generationen

von UWE RADA

Voilà, der Palast erstrahlt in neuem Glanz. Vorbei sind die Zeiten des Wartens, die Türen sind offen und jeder kann rein. Kann in den Veranstaltungsraum, ins Foyer, kann sich Bücher ausleihen und mit anderen diskutieren, so lange er will. Der Palast der Republik ist wieder, was er war: ein offener Raum für Kultur und öffentliche Debatte, und das alles inmitten der Stadt und der Republik.

Zugegeben, das sind noch Zukunftsvisionen. Das weiß auch Andrea Ueberschaer. Je näher freilich der 19. September und damit der zehnte Jahrestag der Schließung des Palastes rückt, desto nachdrücklicher verweist sie auf ihr Projekt. „Die Idee ist, den Palast nachzubauen, zumindest virtuell, und ihn dann gleich zu besetzen.“ Nutzungsideen dafür gibt es bereits. Sie stammen aus der schier unendlich gewordenen Debatte um die Zukunft des Schlossplatzes und wurden von all jenen eingebracht, denen der offene Charakter dieses Ortes in der Mitte der Republik am Herzen liegt. Für Ueberschaer zählt das Haus der Kulturen der Welt ebenso dazu wie die Abteilung neue Medien der Berliner Landesbibliothek oder die Sammlung außereuropäischer Kunst der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Zwar ist sie derzeit noch auf der Suche, doch der Anfang ist gemacht. Mit den Websites www.palast-projekt.de und www.chance3000.com sei der Raum um die Zukunft des Ortes gedanklich eröffnet. Nun muss die Wirklichkeit der Zukunftsvision nur noch standhalten.

Noch aber ist die Wirklichkeit realer als es den Palast-Fans lieb ist. Hinter den Bauzäunen ist der ehemalige „Palazzo Prozzo“ bis auf die Stahlskelette abgetragen, die einstige Fassade kaum mehr kenntlich. „Salamitaktik“ nennen das die einen, „Abriss durch Sanierung“ die anderen. Zwar ist offiziell noch keine Entscheidung über die Zukunft des Schlossplatzes und damit auch über das Schicksal des Palastes der Republik gefallen. Doch unter der Hand glaubt keiner mehr daran, dass der alte DDR Palast in einigen Jahren wieder in neuem Glanz erstrahlen könne.

Das gilt selbst für Thomas Flier, den PDS-Baustadtrat des Bezirks Mitte. Nach der Asbestsanierung, sagt Flierl, werde es keinen Palast mehr geben. Doch für Flierl stehen ohnehin andere Fragen im Vordergrund: „Das Erbe des Palastes“, sagt er, „ist die öffentliche Nutzung“. Einig weiß sich der Baustadtrat damit nicht nur mit seiner Partei, sondern auch mit der grünen Baupolitikerin Franziska Eichstädt-Bohlig. „Der Schlossplatz braucht eine Nutzung, die ihn zum zentralen öffentlichen Ort mit demokratischer, bürgernaher Funktion macht.“ Zwar steht Eichstädt-Bohlig auch einem Teilaufbau des alten Schlosses nicht ablehnend gegenüber. Entscheidend sei, dass der Ort keine Vergangenheit präsentiere, sondern sich „bewusst der Lebenswelt des 21. Jahrhunderts öffnet“.

So unbemerkt in der Vergangenheit die Zahl der Schlossbefürworter auch in den Reihen der SPD und selbst der Grünen wuchs, so unbemerkt hat sich in der jüngsten Vergangenheit eine inhaltliche Verschiebung der Diskussion abgezeichnet. Je dringender die ungelöste Frage der Nutzung wurde, desto mehr verschwand das reine Fassadenbild, am sinnfälligsten verkörpert durch Wilhelm von Boddiens Schlossattrappe im Jahre 1994. Keiner hat das so deutlich gemacht wie der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, dessen Vorschlag, die außereuropäischen Sammlungen der Dahlemer Museen mögen am Schlossplatz ein neues Zuhause finden, die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Nicht mehr Schloss- oder Palastfans treffen mittlerweile aufeinander, sondern, das zeigen Statements von Flierl bis Lehmann, die Verfechter eines öffentlichen oder im weitesten Sinne kommerziell genutzten Stadtraumes.

Die Liste an möglichen öffentlichen Nutzungen ist mittlerweile recht lang. Sie reicht von der von Lehmann eingebrachten Museumslösung bis hin zum Bau eines „Centre Pompidou“ mit all seiner quirligen, populären oder auch extravaganten Urbanität inmitten des Berliner Zentrums. Auf der anderen Seite steht dagegen immer noch das Szenario einer Investorenlösung, das der Architekturkritiker Manfred Sack unlängst formuliert hat: „Nur diejenigen, denen der Staat diesen öffentlichsten aller Berliner Plätze wegen angeblichen Geldmangels offenbar auszuliefern bereit ist“, so Sack, „wissen längst, wie sie hier auf ihre Kosten kommen wollen.“ Sack zitiert ein Veranstaltungszentrum „nach historischem Zuschnitt mit dekorativer Kulisse“ oder ein „elegantes Ensemble mit Repräsentationsräumen für Staatsempfänge und Bankette“ – alles, so der Kritiker, Hinweise auf eine „trostlose Gedankenleere“.

Je konkreter die Drohungen einer vorwiegend kommerziellen Nutzung und je lauter die Forderungen nach einem öffentlichen und demokratischen Charakter des Ortes werden, desto mehr verweisen die hartnäckigen Verteidiger des Palastes der Republik darauf, dass in „Erichs Lampenladen“ von 1976 bis zur Schließung im September 1990 mehr als 70 Millionen Besucher gekommen sind. Einer dieser Nutzer ist der 61-jährige Rudolf Denner. „Als Besucher kenne ich den Palast in- und auswendig“, sagt Denner, der seit Jahren um den Erhalt des Palastes kämpft und dabei sogar beim Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) vorstellig wurde. Fast scheint es, als würde er den Wilhelm von Boddien der Palastbefürworter mimen wollen. Mit Boddien verbindet ihn immerhin ein Briefwechsel, der „an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt“. Ähnlich energisch will Denner auch den zehnten Jahrestag der Schließung des Palastes begehen. Gedacht ist an eine Mahnwache am 19. September und eine Großveranstaltung, bei der noch einmal an die dubiosen Hintergründe des damaligen Beschlusses erinnert werden soll. Immerhin basierte die Schließung auf einem Asbest-Gutachten, das, so Denner, der Öffentlichkeit nicht zugänglich sei.

Alt-Aktivisten wie Denner oder die Initiative „Pro Palast“, die im Laufe der letzten Jahre über 100.000 Unterschriften für den Erhalt des berühmtesten Kulturpalastes der DDR sammelten und dutzende von sanften „Palastbelagerungen“ organisierte, sind freilich längst nicht mehr tonangebend.

Mitten im Getümmel auf dem Schlossplatz finden sich auch neue Aktivisten wie Andrea Ueberschaer oder Mathias Mohr. Letzterer ist eigens von Fulda nach Berlin gekommen, um sich den Rettungsaktionen anzuschließen. Mohr hat Kontakt zu den ehemaligen Mitarbeitern des Palastes aufgenommen und plant mit ihnen weitere Aktionen. Und selbst einige aus Christoph Schlingensiefs Wahlkampfcombo Chance 2000 beschäftigen sich mittlerweile lieber mit Palästen als mit Hütten.

Nicht nur die Vertreter einer kommerziellen oder öffentlichen Nutzung stehen sich damit am Schlossplatz gegenüber, sondern auch die Vertreter veschiedener Generationen. Die „Lebenswelt des 21. Jahrhunderts“, von der die grüne Bundestagsabgeordnete Eichstädt-Bohlig spricht, erschöpft sich eben nicht in Diskos oder Konzerten wie im alten Palast oder dem Umzug einer ethnologischen Sammlung. Zeitgenössiche Kunst und Kultur gehören ebenso dazu wie Internet oder multikulturelle Gesellschaft. Oder, wie es Ueberschaer in ihrer Idee eines „Project Peace World Ballroom“ formuliert: „Die Vision eines zentralen, medial vernetzten Bürgerzentrums, eine Plattform für kulturelle, ökologische, ökonomische, ethische und spirituelle Themen (also im weitesten Sinne politisch), wo NGO-Parlamente stattfinden können, jeder Bürger sich politisch einbringen und artikulieren kann, parallel zu Kunst, Kultur und Gastronomie.“