Eklatanter Mangel an Erotik

■ Knisternd melancholisch: Finn-Tango mit M. A. Numminen

Aua, diese Stimme! Kaum ein finnisches Ohr, in das sich das wackelige Kieksen von M. A. Numminen nicht gebohrt hätte. Dass der Mann so bekannt ist wie, sagen wir mal, der berühmte bunte Hund, hat freilich auch andere Gründe: Schon in den sechziger Jahren piesackte er das gemeine Volk mit Kuriositäten wie dem Lied von der täglichen Pflege eines Pferdes, das inhaltlich auf äußerst detallierten Dienstvorschriften des finnischen Militärs basierte. Da man allgemein (und auch nicht ganz zu Unrecht) der Ansicht war, der aufrechte Sozialist Numminen wolle die Armee lächerlich machen, wurde der Song nicht im Radio gespielt.

Eine weitere Perle aus jenen Tagen, wenngleich eher im nichtmusikalischen Sinne, ist das Lied von der Verbreitung unsittlicher Drucksachen, dessen Text dem Gesetzbuch entnommen war und das sich spöttisch gegen die weit verbreitete sexuelle Doppelmoral richtete. Der nach Numminens eigener Einschätzung größte internationale Erfolg ging in all dem Trubel allerdings etwas unter: Bei einem Auftritt seines Elektronischen Quartetts Ende der Sechziger in Budapest verließen angeblich 600 Besucher schon nach kürzester Zeit fluchtartig den Saal.

Mittlerweile ist Numminen 60 Jahre alt, und sein Gesamtwerk umfasst unter anderem einen Dünnbierkneipenroman, diverse LPs mit neorustikalem Bauernjazz, unzählige kommerziell erfolgreiche Kinderlieder, eine musikalische Umsetzung von Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus sowie schwedisch- und finnischsprachige Technoversionen von Baccaras Yes Sir, I Can Boogie. Zudem brillierte Numminen als Gastsänger der Trashrockband Larry & The Lefthanded, und er widmete seinem Heimatkaff Lempäälä eine wortgetreue Vertonung der Stadtentwicklungsverordnung. Die Gemeindeoberen bedankten sich, indem sie den hölzernen Tango zum offiziellen Soundtrack der 16000-Einwohner-Metropole erkoren.

Apropos Tango: Um den soll es sich beim heutigen Auftritt in der finnischen Seemannskirche vorrangig drehen. Die Rede ist natürlich nicht von der lasziven argentinischen Variante, sondern von deren finnischem Pendant. Sie wissen schon: steife Rhythmen, traurige Mollmelodien und ein offensichtlicher Mangel an Erotik.

Experte Numminen, der hier zu Lande mit dem deutschsprachigen Feger Ich und meine Braut im Parlamentspark einen Minihit landen konnte, wird ein paar Takte aus seinem unlängst beim Haffmans Verlag erschienenen Buch Tango ist meine Leidenschaft vorlesen und dann zum Banjo greifen. Am Ackordeon und am Klavier begleitet ihn der langjährige Weggefährte Pedro Hietanen, ein ehemaliger Prog-Rocker, dessen buschiger Schnäuzer selbst Günter Grass vor Neid erblassen ließe. Die Devise: “Wir Finnen sind umso glücklicher, je unglücklicher die Musik ist. Könnte ein ausgesprochen heiterer Abend werden. Ganz im Ernst.

Jan Möller

21.10., 18 Uhr, Finnische Seemannskirche, Ditmar-Koel-Straße 6.