Vom Tellerwäscher zum Bankrotteur

If I can make it there, I’ll make it everywhere: In seinem Film „Schmalspurganoven“ macht Woody Allen New York noch einmal zum Schauplatz für eine amerikanische Erfolgsgeschichte. Aus Gangstern werden Unternehmer – und Neuankömmlinge im Milieu der zu Reichtum gekommenen Mittelklasse

von HANS ZISCHLER

New York scheint das ideale Terrain für die gegenseitige Verhohnepipelung der in Amerika mit- und gegeneinander verkehrenden Schichten und Klassen zu sein. Vermutlich hat Henry James dies als Erster entdeckt und bravourös ausgebeutet. Und gut hundert Jahre später hat das alte Spiel immer noch seine Reize.

Mit tragischer Grundierung verlegte Stanley Kubrick in „Eyes Wide Shut“ das bereits von Schnitzler historisierte und dadurch dämonisierte Wien in ein neonfahl glitzerndes New York und lässt seinen Parcival Cruise in geschickt aufgestellte „Klassen“-Fallen stolpern. Woody Allen schließlich, der ausdauerndste New Yorker Flaneur unserer Tage – dessen weibliches Pendant die Prostitutierte ist – durchstreift in seinem jüngsten Film „Schmalspurganoven“ das Milieu der zu plötzlichem Reichtum gelangten Mittelklasse. Reichtum zieht ja mitunter einen kleinen „Klassensprung“ nach sich – mit den üblichen Problemen der raschen (mentalen, habituellen, intellektuellen) Anpassung ans unvertraute und gelegentlich verminte Gelände.

In perfekter Verkleidung und wasserdichter Sprachmaske betritt Allen den Film: als Tellerwäscher Ray Winkler, der – nach dem (angeblich immer noch erfolgreichsten) Modell „Klein Moritz“ – zusammen mit ein paar Kumpanen den Coup seines Lebens plant. Zusammen wollen sie über den Keller eines Mietladens einen Tunnel zu einer großen Bank bohren ...

Die Sache geht schief, weil „The Brain“ (Woody Allen) keine Pläne lesen kann und einen Wasserrohrbruch produziert, weil die zur Tarnung eingestellte Cousine May (Elaine May) sich verplappert und ein Polizist den Coup fast auffliegen lässt – wäre er nicht bestechlich und clever. Doch was im Keller schief geht, hat im Laden darüber Erfolg. Der Cop weiß es als Erster und bietet den überrumpelten Gangstern eine echte Alternative an: die von Cousine May und Winklers Frau Frenchy (Tracey Ullman) zur Tarnung gebackenen French Cookies erweisen sich als eine wahre Goldgrube. Nach kurzer Zeit begehren lange Schlangen von süchtigen New Yorkern nach dem Gebäck – und aus den kleinen Ganoven werden erfolgreiche Unternehmer.

Eine Erfolgsgeschichte also, wie wir sie heute jeden Tag hunderttausendmal, wenn schon nicht erleben, so zumindest lesen dürfen. Und genau hier fängt Allens Film ein zweites Mal. Wie richtet man sich im Reichtum ein? Wie vermeidet man, von der neuen Umgebung für doof und geschmacklos gehalten zu werden? Kann man sich abschotten gegen das züngelnde Interesse einer plötzlich gefährlich nahe rückenden Society-Schlange?

In einer Ansammlung von fabelhaften Geschmacklosigkeiten, die einen Jeff Koons neidisch machen müssten, richten sich die Winklers zunächst sturmfest ein. Frenchy drängt voran, während Ray zunehmend unwohl in dem neuen Milieu wird. Der nächste Schritt – treppauf in die upper class – ist ungleich heikler, weil dafür die Klasse verraten und die Sprache gegen etwas eingetauscht werden muss, das nur aus Fallen und Blamagen zu bestehen scheint.

Um sich das Getue und Gehabe, die ganze Suada der kulturellen Präferenzen anzueignen, lässt Frenchy sich einen – englischen – Kunsthändler (Hugh Grant) aufschwatzen. Sie erliegt, comme il faut, dem Stutzer aus der alten Welt. Und merkwürdigerweise ist genau diese Englishness, wie die Figur überhaupt, unangenehm überdosiert. Ähnlich wie in Tom Wolfes „Bonfire“ muss der englische Snob – einem alten New Yorker Klischee entsprechend – für den Schwachsinn einer ganzen Pariaklasse herhalten. So wirken die Szenen, gerade weil sie komödiantisch sein sollen, von Anfang an unfreiwillig outriert. (Sehr viel genauer und auch subtiler hat, zu meiner großen Verblüffung, Julian „Ego“ Schnabel in seinem Basquiat-Film das Kunsthändler-Chamäleon Henry Geldzahler mit Denis Hopper nachgezeichnet).

Ray Winkler zieht sich zurück – der schmollend-bedrückte Woody Allen ist nach wie vor ein Verlierer, der alle Sympathien auf seiner Seite hat – und findet in der schrulligen Cousine May eine unerwartete Gefährtin. Von ähnlicher Märchenhaftigkeit ist nach dem ehelichen Bankrott auch der finanzielle: Die Winklers sind nach Strich und Faden betrogen worden. Eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn, so würde Rameaus Neffe sagen, so steht es schon da oben geschrieben. Die Vorsehung waltet in Gestalt der Statistik von Unternehmenspleiten über dem Film – und wie jede echte Vorsehung will sie ja, sofern sie nicht als Nemesis wütet, durchaus das Schicksal des Einzelnen genau dort umlenken, wo er es nicht wollte oder gar nicht selbst sehen konnte. So gesehen sind gute Filme kleine Sehhilfen für Vorsehungskunde – und „Schmalspurganoven“ ist einer davon.

„Schmalspurganoven“. Buch und Regie: Woody Allen. Mit Woody Allen, Hugh Grant, Elaine May, Tracey Ullmann u. a. USA 2000. 94 Min.