In der Schwärze der Seele

Der Regisseur François Ozon hat ein Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder adaptiert. In seinem Film „Tropfen auf heiße Steine“ wird das Spießerwohnzimmer der Siebzigerjahre zum Biotop der Machtkämpfe und sexuellen Abhängigkeiten

von ANDREAS BUSCHE

„Liebe existiert nicht. Es gibt nur die Möglichkeit von Liebe.“ (Rainer Werner Fassbinder)

Die bürgerliche Kleinfamilie stand in François Ozons letztem Film, „Sitcom“, auf dem Prüfstand. Auf dem Weg zum kleinen häuslichen Glück bedurfte es einzig und allein noch der Überwindung des patriachalischen Subjekts. Dafür musste die Liebe geopfert werden für eine Ansammlung expliziter Praktiken: Inzest, Sodomie, Sadismus. Das Bürgertum, ein buñueleskes Zerrbild. Zur Verschärfung dieses Szenarios greift Ozon für seinen neuen Film „Tropfen auf heiße Steine“ auf ein Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder aus den frühen 60ern zurück – eine präzise Studie über Abhängigkeit und Manipulation in einem hermetischen Milieu. Ein Kammerspiel über die kleinste soziale Einheit: die eheähnliche Zweierbeziehung.

Leopold, ein Paradebeispiel von Mittelklasse-Bürger (und eine Hommage an den sardonischen Karl-Heinz Böhm aus „Martha“), hat sich sein Spielzeug direkt aus der Oberstufe besorgt. Das Material, in seiner ganzen strahlenden Jugendlichkeit, ist noch biegsam und konditionierbar. Und der knabenhafte Leopold fügt sich willenlos in die Rolle des häuslichen Liebessklaven, das System aus Lob und Bestrafung macht ihn zum hörigen Vollstrecker des patriachalischen Familienglücks. Liebe wird in „Tropfen auf heiße Steine“ nur noch in kleinen Dosen verabreicht – vorher darf Franz seinem Leopold aber noch die Plüschpantoffeln holen. Ihre gemeinsame Wohnung wird zum Horrorkabinett, zum Ort der Verrohung. Leopolds Machtspiele sind der letzte verzweifelte Versuch, die Hierarchien aufrechtzuerhalten mit Zuckerbrot und Peitsche. Die Symbiose kann natürlich nur so lange funktionieren, bis ein Fremdkörper in den sozialen Käfig eindringt.

Es hat seinen Reiz, dass ein junger französischer Regisseur wie François Ozon sich an einem Fassbinder-Text versucht. In Frankreich gilt Fassbinder als unantastbares Kulturgut, anhand dessen man den Erzfeind (Nachkriegs-Deutschland) erstmals in seinem ganzen unverdauten Selbsthass und seiner Kleinkariertheit verstehen lernte. Wie anmaßend es in Ozons Heimat auch scheinen mag, sich Fassbinder zu nähern, so konsequent ist der Ansatz, den der Regisseur für „Tropfen auf heiße Steine“ gewählt hat. Die auch zeitliche Distanz zur Person Fassbinder wird zum dramaturgischen Mittel, das er für sich zu nutzen weiß. Ozon greift ganz gezielt auf theatralische Verfremdungseffekte zurück, die seine Außenperspektive auf Fassbinders Arbeit verdeutlichen. Er überpointiert das Beziehungsdrama als Versuchsaufbau, der langsam ins Psychotische abdriftet.

Als die Exfreundinnen von Leopold und Franz in die soziopathische Hausgemeinschaft eindringen, geraten die Machtverhältnisse der hermetisch verschlossenen Kleinbürgerlichkeit ins Wanken. Die neue Personenkonstellation bringt alte Gewaltfantasien an die Oberfläche. Die Wohnung wird zum Käfig, das Außen verschwindet in der Schwärze der Seele. Wenn die Kamera den Blick durch die erleuchteten Fenster des Appartements einfängt, verlieren sich die Figuren in unendlicher Einsamkeit vor der Fassade aus tiefster Dunkelheit.

Eine weitere Verfremdung ist, zumindest in der dringend empfohlenen Originalversion, der Transport von Fassbinders schmuckloser Sprache ins Französische. Wenn Franz dann in der Badewanne wiederum auf Deutsch Heinrich Heine rezitiert oder Leopold seine Gäste zu Tony Marschalls „Tanze Samba mit mir“ als bizarres Marionettenspiel choreografiert, entsteht ein ironischer Bruch: eine Doppelung der (Außen-)Perspektive. Die Verfremdungseffekte holen das Kammerspiel für einige kurze Augenblicke zurück auf die Theaterbühne, wo Ozon es im Sinne Fassbinders re- bzw. bewusst überinterpretiert. Wie Ozon mit der Enge des Theaterraumes spielt, ihn mit geschickten Kamerafahrten und -perspektiven überdehnt und einschränkt, ist auch formal außergewöhnlich. Anfangs überspielt er die Dynamik seiner Inszenierung noch durch die Begrenzungen des emotionalen Knasts, als der sich die Wohnung erweist. Als Leopolds Spiel jedoch endgültig außer Kontrolle gerät, umkreist die Kamera die Menschen nur noch in klaustrophobisch engen Bahnen.

Eine Szene spielt Ozon in „Tropfen auf heiße Steine“ immer wieder durch – in wechselnder Besetzung: Die Tür zum Schlafzimmer geht auf, eine Person im Mantel betritt den Raum, im Gesicht ein wissendes Lächeln. Eine zweite Person liegt bäuchlings auf dem Bett, in devoter Wartestellung, der schüchterne Blick über die Schulter signalisiert Bereitschaft. Schnitt. Der Akt selbst hat in „Tropfen auf heiße Steine“ jede Bedeutung verloren, der Lustgewinn wird längst allein über das sadomasochistische Vorspiel erlangt. Der Rest ist nur noch anstrengende Arbeit an den Körpern.

Die überlebensgroße Melodramatik aus der Fassbinder-Spätphase ist in „Tropfen auf heiße Steine“ nur noch Zitat. Es sind die großen Momente Anna Thomsons: Ihrem wunderschönen, zerbrechlichen Körper mit all seinen Missproportionen ist das Leiden, das sie an Leopold erfahren musste, eingeschrieben. Franz’ sklavische Abhängigkeit ist die Fortschreibung ihrer Liebesgeschichte. Der Titel des Konsalik-Romans „Liebe ist kälter als der Tod“, der zu Franz’ Lektüre gehört, ist die bittere Erkenntnis, mit der das unbefangene jugendliche Herz sich schließlich aufgibt.

„Tropfen auf heiße Steine“. Regie: François Ozon. Mit: Malik Zidi, Bernard Giraudeau, Anna Thomson u. a. Frankreich 2000, 90 Min.