Das Glück trägt Leggings

Melancholischer Kellner trifft deutsche Touristin: In der Komödie „Brot und Tulpen“ wird Venedig noch einmal zur Stadt der Träume – und sogar Bruno Ganz spricht Italienisch

Bei der Besichtigung des Tempels von Pästum hört Rosalba von der Macht Aphrodites, der Göttin der Liebe. Dann sitzt sie wieder mit Ehemann, pubertierendem Sohn, Freundin und Schwiegermutter und der restlichen Ausflüglergruppe aus Pescara im klimatisierten Reisebus. Rosalba ist vierzig, hat ihren üppigen Körper in Leggings, geblümtes T-Shirt und Anorak gesteckt und schleppt eine Menge an Ausrüstung und dümmlichen Souvenirs mit sich herum. Und dauernd fällt ihr etwas herunter. Als ihr auch noch ein Ohrclip ins Klo der Autobahnraststätte plumpst, ist, bis sie ihn mühsam herausgefischt hat, der Bus ohne sie abgefahren. Sie solle sich ja nicht vom Fleck rühren, bis sie alle „bloß wegen ihr“ zurückkämen, brüllt der aufgebrachte Ehemann, der ihr Fehlen erst nach einer Weile bemerkt hat, sie übers Telefon an. Darauf kullert der ergeben Wartenden die Sonnenbrille einer anderen Raststättenbesucherin vor die Füße ...

Wenn so viel fällt, muss eine höhere Macht des Zufalls im Spiel sein, eine Macht, die Rosabella wohl unbewusst schon lange herbeigesehnt hat. Erst aus Trotz, dann wie traumwandlerisch ergreift sie nun, was ihr zufällt (zunächst ist es nur eine Mitfahrgelegenheit mit der sympathischen Genossin im Fallenlassen). Schrittchen für Schrittchen gerät sie ab vom Weg ihrer bisherigen gehorsamen Existenz als Ehefrau, Hausfrau und Mutter – bis sie ganz anderswo angelangt sein wird, im Reich, wo die Gesetze der Komödie gelten und dessen Bühne in diesem Film Venedig ist, die Stadt, die sie schon immer mal sehen wollte.

In einem bescheidenen Ristorante trifft sie auf einen Kellner, der eine Sprache spricht, die so fremdartig höflich und wohlgesetzt ist, so unwahrscheinlich noch vergangenen Zeiten verhaftet scheint wie der Ort Venedig selbst – und gleichzeitig ist diese Sprache so frei von aller touristisch-nostalgischen Korrumpiertheit und Merkantilität, so wenig anbiedernd, so unerbittlich präzise, als wäre die sublimste grammatische und poetische Dimension des Italienischen erst mit dem fremden Zungenschlag dieses unscheinbaren, zurückhaltenden Menschen ins Leben getreten, ungeheuer komisch unzeitgemäß – und einfach unwiderstehlich.

Dieser Kellner, ein in Italien gestrandeter melancholischer Isländer, der sich Ferndando Girasole (Sonnenblume) nennt und gerade den Selbstmord durch Erhängen plant, ist Bruno Ganz (dessen umwerfendes Italienisch in der deutschen Synchronisation wenigstens einmal zu hören ist, als er Rosalba in einem Tanzlokal eine Stelle aus Ariosts „Orlando furioso“ aufsagt). Und neben Licia Maglietta (Rosalba), an deren Gesicht man sich nicht satt sehen kann, ist er das zweite große Wunder dieses Film der vielen kleinen Wunder, die sich bezeichnenderweise rund um das Campo dei Miracoli in Venedig herum abspielen.

Es ist, als spräche diese Komödie dieselbe präzise, klassische Sprache wie ihrer kellnernde Hauptfigur. Alles ist genau, stimmig und maßvoll, die streng komponierten Schnitte, die sparsam eingesetzte Musikbegleitung der alten Schlager von Rosalbas Akordeon, das liebevolle Dekor der Wohnungen – alles ohne jede Spur von Nostalgie.

Dabei sprengt die Komik ganz selbstverständlich die Grenzen der alltäglichen Wahrscheinlichkeiten: Ein kauziger Blumenhändler jagt kaufwillige Kundinnen aus dem Laden, ein schwergewichtiger Klempner flattert als Privatdetektiv im Trenchcoat und mit Stoffhütchen wie ein plumper Falter durch das Gassenlabyrinth. „Brot und Tulpen“ von Silvio Soldini, dieser Liebesfilm ohne eine einzige Sexszene, ja ohne Kuss, diese Komödie ganz ohne Klamauk war in diesem Jahr in Italien der Überraschungserfolg des Sommers.

JUTTA PRASSE

„Brot und Tulpen“. Regie: Silvio Soldini. Mit Bruno Ganz, Licia Maglietta u. a., Italien 2000, 118 Min.