Russen sind gut drauf wie noch nie

Trotz zahlreicher Pannen im vergangenen Jahr blicken die Menschen in Russland optimistisch auf die kommenden zwölf Monate. Und Präsident Wladmir Putin, dessen Erfolge allenfalls mäßig sind, führt unangefochten die Beliebtheitsskala an

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

In Russland regiert seit einem Jahr ein Präsident, der täglich zur Arbeit erscheint und öffentlich kein Mal betrunken angetroffen wurde. Überdies verzeichnete das Bruttosozialprodukt im vergangenen Jahr einen Anstieg von 7,5 Prozent und die Devisenrücklagen wuchsen dank des günstigen Rohölpreises.

Auf die Stimmung der Russen blieben diese Faktoren nicht ohne Wirkung. Laut Umfragen des größten Moskauer Meinungsforschungsinstituts VZIOM schauen die Bürger so optimistisch in die Zukunft wie lange nicht mehr. 1988 erhob das Institut erstmals Daten zur allgemeinen Befindlichkeit der Bevölkerung. Damals bewerteten noch 79 Prozent der Befragten das abgelaufene Jahr als schwieriger im Vergleich zum Vorjahr.

Im Jahr 2000 waren es nur noch 36 Prozent, die über den Verlauf des Jahres unglücklich waren. Die Zufriedenheit heute übertrifft sogar 1997. Das Jahr vor der Rubelkrise hielt mit 37 Prozent Unzufriedenheit den Optimismusrekord der Jelzinära.

Es fällt auf, dass vor allem Rentner und Landbewohner zuversichtlicher geworden sind. Ihr Stimmungsbarometer zeigt nur noch mäßige Schwankungen. Die Zukunftsangst nimmt zugunsten wachsender Hoffnung ab. Bezeichnend ist, dass auch der Grad der Orientierungslosigkeit – das heißt wie sich der Einzelne veränderten Lebensbedingungen anzupassen hat, um nicht unterzugehen – in allen Gruppen und Altersschichten um 5 Prozent gesunken ist.

Nur bei den Jugendlichen im wehrpflichtigen Alter unter 25 stieg das Aggressionspotential. Der gebildetere Teil der Bevölkerung und Städter bewerten die jüngste Entwicklung skeptischer als die Menschen in der Provinz.

Vor dem Hintergrund der Katastrophen im letzten Jahr erstaunt die positive Perspektive. Nach wie vor führt Moskau in Tschetschenien Krieg. Auch sonst hat sich der Kreml nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Erinnert sei an die Hilf- und Schamlosigkeit der Verantwortlichen beim Unglück des Atom-U-Bootes „Kursk“. Für die meisten Russen war die Havarie das wichtigste Ereignis 2000. Danach rangieren der Rücktritt Präsident Boris Jelzins und die Wahl Putins, gefolgt von der Rentenerhöhung.

Unterdessen sind 80 Prozent der Befragten überzeugt, die Politiker im Kreml hätten sie im Fall der „Kursk“ belogen. Ein klares Wort, das auf einen erheblichen Vertrauensmangel gegenüber dem ersten Mann im Staate hinweist. Das trifft indes nicht zu. Zwar konnte Putin an Popularität im ersten Amtsjahr an Popularität keine Punkte hinzugewinnen. Mit 38 Prozent Zustimmung steht er indes einsam an der Spitze. An zweiter Stelle mit jeweils 4 Punkten folgen Bill Clinton und der russische KP-Chef Gennadi Sjuganow.

Dergleichen hat es bisher nie gegeben: Zwar legt Putin an Popularität nicht mehr zu, die öffentliche Unterstützung seiner Rivalen stürzt indes dramatisch in den Keller. Demnach gibt es in Russland zurzeit keine ernst zu nehmende Opposition.

Paradox, die einzelnen Maßnahmen des Kremlchefs bewertet die Bevölkerung durchaus skeptisch. Fast die Hälfte der Befragten hielt dessen Leistungen nicht gerade für beeindruckend. Im Wirtschaftsbereich attestierten ihm nur noch 29 Prozent ein positives Resultat, 36 Prozent weniger als im Vorjahr.

Dennoch bleibt Putin Hoffnungsträger der Russen. Nur weiß keiner, warum. Soziologen erklären das Paradox zum Teil mit der dominanten Rolle des persönlichen Erfolges der Befragten. Nur wenige koppeln ihre Bewertung noch an die allgemeine Situation im Lande. Im Klartext: Man distanziert sich von dem Übel, toleriert es, solange es einen verschont.