Buddelnde Buschkrieger

Der taiwanesische Regisseur Ang Lee erweist sich wieder als Dekonstrukteur amerikanischer Mythen. Sein Film „Ride With The Devil“ ist eine abgeklärte Version des amerikanischen Sezessionskrieges

von THOMAS WINKLER

Am Anfang von „Ride With The Devil“ steht eine Hochzeit. Ein letztes rauschendes Fest, bevor die Söhne und Brüder in den Krieg ziehen, um dort zu Männern zu werden. Wenn einem das aus „Deer Hunter“ von Michael Cimino bekannt vorkommt, ist das kein Zufall. Hier wie dort geht es um ein amerikanisches Trauma, bei Cimino um den Vietnamkrieg, in „Ride With The Devil“ von Ang Lee um den ziemlich genau ein Jahrhundert älteren amerikanischen Bürgerkrieg.

Der taiwanesische Regisseur folgt den Wirren des Krieges auf der Spur einer Gruppe von so genannten Bushwackers, irregulären Truppen, die jenseits der großen Schlachtfelder einen Guerillakrieg gegen die Nordstaaten führten. Die kaum der Pubertät entwachsenen Protagonisten sind mehr damit beschäftigt, sich Verstecke im Unterholz zu buddeln als gegen irgendwelche Nordstaaten-Feinde zu kämpfen.

Ang Lee inszeniert den Krieg als leicht verschobenen Alltag, in dem die bürgerlichen Rituale unverändert, aber eben gebückt in einem Unterstand stattfinden müssen. Es ist erst die Gewalt, die sonst in Hollywood den konservativen Status quo sichern hilft, die die Figuren aus den vertrauten Bahnen wirft. Die Fronten verschwimmen, und neue Freiräume werden geschaffen: Mit der jungen Witwe Sue Lee kreiert Ang Lee nicht nur eine seiner bekannt starken Frauenfiguren, sondern auch den einzigen seiner selbst ganz sicheren Charakter in „Ride With The Devil“. In den sich auflösenden Strukturen kann Sue Lee einen großen Teil der Emanzipation durchsetzen, den ihre Geschlechtsgenossinnen hundert Jahre später erst erkämpfen müssen.

Aber es ist die Gewalt, ihre Abwesenheit, ihre Ausbrüche, die den Rhythmus von „Ride With The Devil“ bestimmen. Roland Emmerich konnte in „The Patriot“ einen anderen amerikanischen Mythos noch einmal ungebrochen reanimieren und mit ihm ein Bild von Gewalt, die gerechtfertigt ist, wenn sie nur auf der richtigen Seite steht. Als wäre „The Patriot“ ein Prequel zu „Independence Day“, werden die Aliens einfach durch Engländer ersetzt – sind schließlich alles Ausländer. Gerade aber mit dem Freibrief und aus der Distanz seines eigenen Ausländerstatus konnte er den in den USA längst differenzierter diskutierten Unabhängigkeitskrieg als allein heroische Tat wieder beleben. Der Bürgerkrieg aber war immer ein Trauma, für das sich noch keine einfachen – Emmerich’schen – Zuschreibungen und Lösungen finden ließen. Ang Lee wiederum kann als Nichtamerikaner leichter das mittlerweile verschüttete Trauma des Sezessionskrieges wieder ausgraben. Und vor allem gegen alle Klischees inszenieren. Schließlich wird das aktuell gültige Bild der Ereignisse eher bestimmt von „Vom Winde verweht“ als von historischen Tatsachen.

So macht Ang Lee aus dem Krieg die schmutzige, staubige, trostlose Angelegenheit, die er ist. Hier wird zwar beiläufig getötet, aber noch lange nicht heroisch gestorben, sondern elend verreckt. So verlieren die halben Kinder, die einen Krieg führen, der eigentlich nicht der ihre ist, ihren kleinen Finger, ihr Leben oder doch zumindest ihre Unschuld. Als Sue Lee vor der Hochzeitsnacht Jake (Tobey Maguire), jugendlicher Kämpfer und Hauptfigur des Films, fragt, ob er noch Jungfrau sei, antwortet der: „Ich habe 15 Männer getötet.“

Wie schon in „Der Eissturm“ versucht Ang Lee die gesellschaftlichen Strukturen und die davon bestimmte Psychologie der Figuren herauszuarbeiten. Nun befindet sich mit dem System der Sklaverei aber auch die Gesellschaft in Auflösung, und dieses Talent von Ang Lee läuft ins Leere. Auch die Figuren bleiben, abgesehen von Jake und Sue Lee, für einen Ang-Lee-Film seltsam flach. Wäre „Ride With The Devil“ als das Epos angelegt, das Titel, Länge und Breitwandformat suggerieren, wären diese eindimensionalen Charaktere adäquat. So bleibt der ganze Film aber zusammen mit ihnen seltsam farblos. Da verkommt sogar die Liebe zum historischen Detail fast zur Kleinkrämerei.

Fast: Verhältnismäßig differenziert zeichnet Ang Lee die Figur des Daniel Holt, einen befreiten Sklaven, der aus Solidarität mit seinem ehemaligen Besitzer für die Konföderierten kämpft, und rückt damit die weitgehend unbekannte Tatsache ins öffentliche Bewusstsein, dass – wenn auch wenige – Afroamerikaner für die Südstaaten in den Bürgerkrieg zogen.

Mit dem Tod seines früheren Sklavenhalters aber geht Holt der letzte Grund zum Kämpfen abhanden. Von den anderen schien schon zuvor niemand so recht gewusst zu haben, warum hier – abgesehen von Rachegelüsten – gemordet wird. Nur der von Jonathan Rhys Meyers gewohnt hohlwangig gespielte Psychopath hat offensichtlichen Spaß an der Gelegenheit, möglichst viele Menschen sanktionslos umbringen zu können.

Nachdem der Sinn des Krieges abhanden beziehungsweise seine Sinnlosigkeit zum Vorschein gekommen ist, interessiert sich Ang Lee nicht mehr für die Geburt der Nation, ansonsten unvermeidliches Hauptthema eines Bürgerkriegsfilms. Zwar wird ein Kind geboren und eine Familie gegründet, aber es ist nicht die Liebe, die für Erlösung sorgt und den Neuanfang einleitet. Eine Notgemeinschaft aus einer doppelten Witwe und einem desillusionierten Kämpfer ist es, mit der die neuen, friedlichen Zeiten beginnen.

„Ride With The Devil“. Regie: Ang Lee. Mit Tobey Maguire, Skeet Ulrich, Jewel, Jeffrey Wright u. a. USA 1999, 138 Min.