Virtueller Spuk in Bremens Schulen

■ Filtersoftware „CyberPatrol“ soll SchülerInnen vor Pornos und rechter Gewalt schützen / Testlauf schon gestartet / Kritiker: „ So nutzlos wie ein Baustellenschild“

Manche Bremer SchulleiterInnen sind erleichtert, dass die Bildungsbehörde kürzlich einen Testlauf für Filtersoftware gestartet hat. Sie erhoffen sich dadurch Entlastung von Verantwortung. Denn die eingesetzten elektronischen „Filter“ sollen SchülerInnen, die von Schulcomputern aus in die weite Welt surfen, daran hindern, „Websites mit extremen pornographischen, insbesondere Seiten mit rassistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten“ aufzusuchen, so die Bildungsbehörde. Diese Möglichkeiten haben den Verantwortlichen verstärkt Sorge gemacht, seit Bildungssenator Willi Lemke im Dezember alle Bremer Schulen ans Netz gebracht hat. Derweil wächst unter Fachleuten die Kritik an der Filtersoftware, deren Wirksamkeit umstritten ist. Manche sagen: „Das ist so nutzlos wie ein Baustellenschild. Hängt da – und schon glauben Leute, hier würde gebaut.“

Wie jeder Probelauf provoziert auch die aktuelle Filterei der Bildungsbehörde erstmal Lacher. Vordergründige und hintergründige. „Zum Schmunzeln – wenn es nicht so traurig wäre“, steht beispielsweise über der internen E-Mail eines Uni-Informatikers, der die sechs sogenannten WebPunkt-Schulen in Bremen betreut. Ausgerechnet die Internet-Seiten dieser Schulen, von denen aus nachmittags auch NachbarInnen über Telekomleitungen ins Internet surfen können, waren als Erste im Filter hängen geblieben. www.webpunkte-bremen.de – wie auch andere völlig unverdächtige Websites – konnten vom Behördennetz, auf das der Probelauf zunächst begrenzt ist, nicht mehr erreicht werden. Auf dem Bildschirm stand stattdessen: Der Zugang zu dieser URL wurde durch Ihren Systemadministrator oder Internet-Service-Provider gesperrt. Diese Seite deutet auf extreme Inhalte.

„Steht es so schlimm um die WebPunkte???“, witzelten die Uni-Leute, die die WebPunkt-Schulen derzeit betreuen. Doch dort konnten die – zumeist männlichen – Informatik- oder Mathelehrer, die sich an Bremens Schulen bisher um Internetzugänge und Computerräume kümmern, nicht lachen. Nicht nur wurden sie niemals zur Frage „Filtersoftware“ konsultiert, die jetzt per „Ordre de Mufti“, aus der Behördenspitze, angeordnet wurde – was nur Einzelne hatten kommen sehen, nachdem ein IT-Branchenmagazin im Oktober schon vom „Bremer Modell“ schrieb. Vielmehr halten die Lehrer den Rauswurf von webpunkte-bremen.de für ein klassisches Problem von Filter-Software – das über den zentralen Rechner in der Bildungsbehörde niemals zu lösen sei. Und schon gar nicht altersgruppengerecht.

Kein Wunder, dass die schärfte Kritik zur Filtersoftware bislang aus der Schule Am Rübekamp kommt, einer technisch weit entwickelten WebPunkt-Schule mit Oberstufe. „Es ist nicht nur anmaßend, sondern auch dumm, zu glauben, durch eine automatisierte Kontrolle, ein –sauberes, freundliches, nützliches Internet' für Schülerinnen und Lehrerinnen von sechs bis 65 Jahren zu bekommen“, schrieb die Schulleitung jetzt an die Bildungsbehörde. Die Eigenschaften des Internets seien chaotisch und anarchisch, keineswegs nur sozialverträglich. Die Technologie trage diese Eigenschaften mit in die Schule. Wer nicht ertragen könne, dass SchülerInnen auch mit problematischen Inhalten konfrontiert würden, müsse dafür sorgen, dass Schulen keinen Internetzugang bekommen. „Für uns kommt ein durch die Behörde manipulierter Internetzugang nicht in Frage“ – zumal die bisherigen Erfahrungen mit Internetverbindungen über die Schulbehörde fast ausschließlich negativ gewesen seien.

Über diesen zentralen Zugang ins Netz, gesteuert vom Behördenmann Lühmann – nach dem die kleine Blackbox bremenweit auch „Lühmann-Router“ heißt –, soll jetzt die Filtersoftware zentral quasi obendrauf gepackt werden. Dann kommt kein Datenpaket mehr unerkannt aus den Schulräumen – geschweige denn, ein verdächtiges zurück. Heißt es. Und auch keines, das einen Unterricht über rechtsradikale Propaganda im Netz zulässt. Heißt es. Vielleicht auch keine Software zum Thema StaatSEXamen, oder SusSEX, was vielleicht nur harmlose Varianten wären – im Vergleich zu Kinderthemen, bisweilen unter Pornoaspekten schwer verdächtig, oft aber wegen des Erfindungsreichtums der Hersteller nicht wirklich erfolgreich aus Schulcomputern zu verbannen.

Das von den Kultusministerien aller Länder finanzierte „jugendschutz.net“ aus Mainz jedenfalls nennt „Filterprogramme fast wirkungslos“. Es bezieht sich dabei auf Studien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Das untersuchte auch das in Bremen jetzt getestete CyberPatrol-Programm. Die nach US-Muster und -Moral fabrizierte Filtersoftware blockiere zu viel Richtiges und zu lasse zu viel Falsches passieren, heißt es. Bei rassistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten sei sie sogar „völlig unzureichend“.

„Die Behörde spielt Provider“, höhnen Bremer Lehrer folglich über die jüngste Entwicklung. In Wirklichkeit sind auch die böse-Sprüche-Macher total frustriert. Denn die zunehmende Zentralisierung des Bremer Schulnetzes schafft für kenntnisreiche PädagogInnen mehr Probleme als sie löst – und das nicht nur, weil Herr Lühmann im Notfall oft schwer zu erreichen ist. Sondern auch, weil die Abschottung des Netzes den qualifizierten Umgang mit dem Computer erschwert. Wer früher schon mal die Wort-Ergänzungsaufgaben für den nächsten Tag im schulischen Server parkte, in den die Kinder sich in der nächsten Unterrichtsstunde nur noch einloggen mussten, kann das künftig vergessen – es sei denn, er findet Schlupflöcher. Einige soll es ja geben. Nicht nur bei CyberPatrol. ede

Am Dienstag, 13. 2., referiert Michael Wörner-Schappert vom Mainzer „jugendschutz.net“ auf Einladung des ServiceBureaus Internationale Jugendkontakte über „Rechtsextremismus in der Internet-Jugendszene“. Unter anderem geht es dabei um die Frage, welche rechtsextremistischen Angebote es gibt, wie man sie erkennt und welche Gegenstrategien anzuwenden sind. Ort: Landeszentrale für Politische Bildung, Osterdeich 6