Liebende im Warenkreislauf

Taipeh sieht aus wie ein unvollständiges Baukastensystem, und Befreiungsversuche enden marktgerecht vor Kameras: Lin Cheng-shengs „Betelnut Beauty“ (Wettbewerb)

Wenn man ein junges Ding ist, stellt man sich gern in den Regen. Und schreit. Weil die Mutter einem schon lange nicht mehr zuhört, weil man wissen möchte, wie so etwas klingt, oder weil man sich ein bisschen interessanter machen möchte vor dem jungen Mann auf der anderen Straßenseite. Deshalb steht Fei-fei vor einem Einkausfzentrum in Taipeh und schreit. Bis sich Xio-feng neben sie stellt und dasselbe macht. So beginnen Liebesgeschichten im Kino. Und sie dauern meist so lange, bis der Fokus breiter wird und der Rest der Welt wieder Schärfe bekommt. Bis die Verliebten aus dem Schwebezustand zurück auf den Boden fallen und sich als Teile des taiwanischen Warenkreislaufs wiederfinden.

Xio-feng (Chang Chen) hat seine Militärzeit hinter sich, will in der Hauptstadt ein neues Leben beginnen. Und, wenn es geht, nicht nur in seinem gelernten Beruf als Bäcker. Von einem Halbweltler lässt er sich zu tölpeligen Überfällen überreden. Doch eine Überwachungskamera hat zugeschaut. Die Bilder kauft ein Fernsehsender. Und für einen Tag werden Xio-feng und Ah-guang (Kao Ming-chun) zu TV-Stars mit albern vermummten Gesichtern.

Fei-fei (Angelica Lee) haut wieder mal von zu Hause ab und arbeitet als „Betelnut Beauty“. Wenn sie am Straßenrand Betelnüsse an Taxifahrer und Trucker verkauft, die sich mit den appetitlich portionierten Häppchen eindecken, sieht sie aus wie ein Geschöpf von Multimedia-Künstlerin und Cybergirlie Mariko Mori. Eine Mischung aus aufgebrezelter Kindfrau, Serviererin und extraterrestrischem Wesen, das sich jederzeit davonbeamen können müsste. Doch Fei-fei muss bleiben. Auch als ein fragwürdiger Regisseur Probeaufnahmen von ihr macht, und sie langsam begreift, dass ihr schöner Körper im Kamerasucher zu etwas wird, was ihr nicht mehr allein gehört.

In „Betelnut Beauty“ („Ai ni ai wo“) von Lin Cheng-sheng, einem der bekanntesten Regisseure im neuen taiwanischen Kino, sieht Taipeh aus wie ein unvollständiges Baukastensystem. Eine Stadt, die nur aus Straßenrändern, Geldautomaten und Glashäusschen zu bestehen scheint, in denen Zeitungen, Beetlenüsse, Cola oder Sex verkauft werden. Und die Straßen, auf denen Xio-feng und Fei-fei auf dem Motorroller durch die Nacht fahren, führen nur bei pingeliger Planung mal irgendwohin. Zum Balkon von Fei-feis Vater zum Beispiel. Doch der darf nicht runterkommen. Und als seine neue Frau ihm auch noch das Handy aus der Hand reißt, bleibt Vater und Tochter nichts anders übrig, als sich mit einem kurzen Winken einen längeren Abschied anzuzeigen. Fei-fei und Xio-feng gönnt Lin Cheng-sheng am Ende nicht einmal einen Handschlag.

„Betelnut Beauty“ ist der zweite Teil der Trilogie „Tales of Three Cities: Changing China“. Xiao-fengs dreiteiliger Blick auf China widmet sich nach einer Liebesgeschichte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg („Tian ma cha fang“, 1999) nun dem jetzigen Taiwan in fließenden, teils fahrigen Bildern. Das traditionell langsame Erzählkino Chinas wird von den eigenwilligen Perspektivwechseln und diffusen Fahrten in „Betelnut Beauty“ durchgeschüttelt. Seine Figuren leben zwischen Dröhnung und Lethargie, Medien- und Verkaufswelt, Sehnsucht und Gewalt. Nichts bleibt, und nichts wird wieder gut.

BIRGIT GLOMBITZA

„Betelnut Beauty“. Regie: Lin Cheng-sheng, Taiwan, 106 Min.