Bumsen, schlafen, schweigen

In seinem Wettbewerbsbeitrag „Intimacy“ schildert Patrice Chéreau eine obsessiv-erotische Liebesbeziehung

Schon als sich Vincent Pérez mit Isabelle Adjani in Patrice Chéreaus Historienfilm „Die Bartholomäusnacht“ ekstatisch auf Steinfliesen wälzte, hatte man das Gefühl, dass sich die Kamera nicht für den irgendwie doch leidenschaftlich gemeinten Liebesakt, sondern ausschließlich für das marmorn schimmernde Hinterteil von Perez interessierte.

Eine heterosexuelle Liebesgeschichte steht auch im Zentrum von Chéreaus Wettbewerbsbeitrag „Intimacy“. Wieder wälzen sich zu Beginn ein Mann und eine Frau stöhnend auf dem Boden, und wieder stellt sich dieses merkwürdige Gefühl einer Indirektheit ein. Wenn die Kamera beim rauen Quickie ausgiebig den erigierten Schwanz von Mark Rylance zeigt, mit seinem Hintern flirtet und die Tonspur von seinem Röcheln schier gesprengt wird, dann steht allein das männliche Begehren im Vordergrund. Eigentlich kein Problem. In einem Film, der die obsessionell erotische, alles andere ausblendende Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau erzählen will, aber schon.

Die Frau steht eines Tages einfach vor der Tür des einsamen Barkeepers. Aus dem ersten Quickie wird bald ein regelmäßiges Rendezvous. Bumsen, schlafen, schweigen. Aber wie das so ist mit dem reinen Sexus, eines Tages will Ray dann doch wissen, wer die stille Unbekannte ist, mit der er seine Mittwochnachmittage verbringt. Aus Erotik wird Liebe, und weil Claire verheiratet ist, kann man sich den Fortgang der Ereignisse so ungefähr vorstellen.

Mit „L’homme blessé“ hatte Chéreau Anfang der Achtziger die Liebesgeschichte zwischen einem Halbwüchsigen und einem erwachsenen Mann erzählt. Eine Folge von flüchtigen Blicken und unglaublich erotischen Bahnhofsbegegnungen.

In „Intimacy“ wirken die Liebesszenen wie um eine Leerstelle herum inszeniert. Einzelne Einstellungen (zum Beispiel ein wunderbar melancholischer Blowjob) mögen für sich stehen, doch ansonsten motzt Chéreau seinen Film derart penetrant mit hektischen Schwenks, pathetischen Zeitlupen und existenzialistischen Geigen auf, dass alles gleich bleibend bedeutungsschwanger und damit letztlich auch egal ist.

Ob Claire ihren Mann verlässt oder nicht, ob Jay zu seiner eigenen Familie zurückkehrt oder weiter einsam vor sich hinraucht, wird auch nicht durch die Rahmenhandlung interessanter, in der man Claire dabei zuschaut, wie sie in einem Londoner Laientheater Stücke von Tennessee Williams aufführt. Immerhin darf Marianne Faithful als gefühlserfahrene Freundin, die anscheinend einiges hinter sich hat, ein paar mysteriöse Lebensweisheiten von sich geben. In ihrer rauchigen Stimme steckt mehr Sex als im ganzen Rest des Films. KATJA NICODEMUS

„Intimacy“. Regie: Patrice Chéreau. Frankreich, 119 Min.