Eine einzelne Strafanzeige reicht schon aus

Für ein Ermittlungsverfahren ist auch bei Bundestagsabgeordneten nur ein „Anfangsverdacht“ erforderlich

BERLIN taz ■ Die Immunität von Joschka Fischer ist teilweise bereits aufgehoben. Routinemäßig beschließt der Bundestag zu Beginn jeder Legislaturperiode, dass gegen alle Abgeordneten Ermittlungsverfahren eingeleitet werden können. Diese pauschale Regelung soll verhindern, dass die Aufhebung der Immunität eines einzelnen Abgeordneten schon im Anfangsstadium eines Strafverfahrens öffentlichen Wirbel verursacht.

Im vorliegenden Fall ist dies offensichtlich nicht gelungen, weil viele Medien den praktischen Ablauf des Verfahrens nicht ganz verstanden haben. Der Brief der Frankfurter Staatsanwaltschaft an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist nämlich kein Antrag auf Aufhebung von Fischers Immunität. Vielmehr wird der Bundestag lediglich über die geplanten Ermittlungen informiert. Denn der Bundestag kann laut Grundgesetz auch verlangen, dass laufende Strafverfahren gegen Bundestagsabgeordnete „ausgesetzt“ werden.

In der Praxis gilt eine so genannte 48-Stunden-Regelung. Wenn der Immunitätsausschuss des Bundestags in dieser Frist keinen Widerspruch äußert, beginnt die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen. Für weitere Verfahrensschritte müsste dann allerdings tatsächlich Joschka Fischers Immunität aufgehoben werden. Will die Staatsanwaltschaft etwa Anklage gegen den Außenminister erheben, dann muss der Bundestag hierfür ausdrücklich grünes Licht geben. Das gleiche gilt auch bei besonders intensiven Ermittlungsmaßnahmen, etwa bei Hausdurchsuchungen, weil diese eine besonders stigmatisierende Wirkung haben.

Das Ermittlungsverfahren selbst ist dagegen eine unspektakuläre Maßnahme. Es kann bereits durch eine einzelne Strafanzeige ausgelöst werden. Bevor es förmlich eingeleitet wird, prüft die Staatsanwaltschaft allerdings in so genannten Vorermittlungen, ob überhaupt ein „Anfangsverdacht“ gegeben ist. Hier werden abstruse Anschuldigungen oder reine Vermutungen ausgesondert. Wenn aber konkrete Tatsachen genannt werden, die den Verdacht einer verfolgbaren Straftat begründen, müssen Staatsanwaltschaft und Polizei dem nachgehen.

Sie erheben dann belastende und entlastende Beweise und prüfen am Ende ihrer Ermittlungen, ob eine Verurteilung vor Gericht „wahrscheinlich“ ist. Wenn ja, wird Anklage erhoben, anderenfalls wird das Ermittlungsverfahren eingestellt.

CHRISTIAN RATH