68 geht ins Kino

Heute startet die Wiederaufführung von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ unter dem Motto „Immer noch der ultimative Trip“. Doch als der Film 1968 in die Kinos kam, war man sich darüber gar nicht einig. Einige Stimmen von damals

Ein ungewöhnliches Premieren-publikum wird Stanley Kubricks Film „2001 – Odyssee im Weltraum“ am 11. September 1968 im Royal-Palast in München haben. Die Firmengruppe Bölkow-Messerschmitt hat die gesamte Premiere „gekauft“ und wird führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur und Technik – darunter die Teilnehmer des Flugwissenschaftlichen Kongresses – einladen. In einer Stellungnahme des Bölkow-Pressechefs Eduard Roth heißt es:

„Wir glauben, dass dieser Film einen interessanten Beitrag zur Reihe qualifizierter Auseinandersetzungen um Richtung und Ausmaß des Forschungsdrangs des Menschen, die Größenordnung der dabei auftretenden technischen und finanziellen Probleme, die Konfrontation des Menschen mit noch nicht absehbar Zukünftigem und schließlich mit dem Heranwachsen eines neuen Typs von Mensch darstellt.“ [. . .]

Abendzeitung 3. 9. 68

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Die Science-Fiction-Produktion der MGM „2001 – Odyssee im Weltraum“ des vierzigjährigen amerikanischen Regisseurs Stanley Kubrick liefert ein Exempel zu der These des kanadischen kulturphilosophischen Modedenkers McLuhan. Der Film, der zu Weihnachten in die Kinos der deutschen Großstädte kommt, ist im Sinne McLuhans eine Botschaft. Freilich eine ungewöhnliche. Das Medium Film ist selbst die Botschaft. Zwar bietet MGM seinen Konsumenten auch filmische Stories an. Aber diese Stories werden nicht durchgehalten. Sie fallen gleichsam ins Bodenlose des Weltraums.

Der eigentliche Inhalt ist die Suggestion des Schwebens und Fahrens, der Verlust des normalen Sensoriums von Oben und Unten, im Unendlichen, die Entrückung. Der Betrachter wird mittels der gekrümmten Leinwand und faszinierender Tricks auch zerebral in einen Zustand versetzt, der aus dem Verlust der Schwere resultieren mag. Eine Stewardess im Raumschiff gleitet durch einen Gang, wie er aus den Kabinen moderner Jet-Flugzeuge vertraut ist. Unversehens gleitet sie die Wand eines Raums hinauf, der einem Windkanal ähnelt, und verschwindet, den Kopf nach unten, durch eine Tür. Durch den fließenden Wechsel von Innen- und Außenaufnahmen – das Außen ist das schwindelerregende dunkle Universum – erzeugt der Film das Gefühl der Bodenlosigkeit. Auf diese Empfindung ist der Mensch durch die Bilder von Tiefseetauchern vorbereitet. [. . .]

In solchen und verwandten Szenen wird deutlich, dass der Film bei all seinen faszinierenden technischen Zaubertricks von stumpfer Geistlosigkeit nicht loskommt. Das Bewusstsein 2001 ist noch so bieder und unerweckt, dass die kühn plakatierte Jahreszahl ein nicht eingelöstes Versprechen bleibt. Oder wollte Herr Kubrick, von dem MGM wissen lässt, dass er ein Skeptiker und Pessimist gar sei, demonstrieren, dass die Menschen um so langweiliger und einfältiger werden, je weiter sie in die Zukunft gelangen? [. . .]

Karl Korn, Frankfurter Allgemeine Zeitung 13. 12. 68

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[. . .] Soweit dieser Film ein metaphysischer Film sein will, ist er ärgerlich, soweit Fortschritt hier als böses Menetekel dargestellt wird, ist er unernst und unverantwortlich. Denn nicht Fortschritt ist problematisch, sondern die Handhabung des Fortschritts. Die Antwort Kubricks darauf, dass eben alles, was der Mensch schafft und sich erdenkt, voraussetzt, dass er in seiner Anlage nun einmal böse ist, auch böse wird, ist billige Dialektik, ist Beschwörung einer Immanenz, die fragwürdig erscheint. Der Computer Hal 9.000, der, vom Menschen konstruiert, sich scheinbar folgerichtig das Böse des Menschen zu eigen macht, misstrauisch wird, schizophren, dient Kubrick als quasi kulminierende Argumentation.

Nimmt man das Untergangspathos Kubricks, das sich ja schon in seinem vorausgegangenen Film „Dr. Seltsam“ zeigte, nicht zu ernst, dann freilich kann man einen traumhaft schönen Film sehen, psychedelische Farborgien genießen, sich von handwerklicher Brillanz bestechen lassen.

Florian Fricke, Süddeutsche Zeitung 16. 9. 68

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[. . .] Und weder wird man sagen können, dass er die Dollars zum Fenster hinausgeworfen, noch, dass er sie besonders diskret investiert hätte: Der Film selbst sieht aus wie der Geschäftsbericht einer Firma, die solide Arbeit geleistet hat. Arthur Clarke hat gemeint, ein besserer Science-Fiction-Film als dieser müsse schon on location gedreht werden. Was die äußere Glaubwürdigkeit der Darstellung interplanetarischer Aktionen angeht, so bezweifle ich sogar, dass die ersten Dokumentarfilme der Raumfahrer diesem Film beikommen werden. [. . .]

Überhaupt ergeben sich die subtileren Effekte aus der Konfrontation der Menschen mit dem sehr entwickelten Computer. Dieser verfügt über eine breitere Skala von Reaktionsweisen als seine menschlichen Gefährten; der prinzipielle Opportunismus menschlichen Verhaltens wird aber gerade an dem Computer deutlich. So reagiert er mit einem vollkommen glaubwürdigen Ausdruck von Reue, wenn ihm aus seinem Verhalten ein Nachteil zu erwachsen droht. Und wenn man in sein Polyphem-Auge blickt, nachdem dieses zuvor die verräterischen Lippenbewegungen der komplottierenden Männer beobachtet hat, vermeint man darin einen Zug von Trauer zu erblicken. [. . .]

Wenn das Raumschiff Discovery schließlich ins Ungewisse treibt, erscheint (nach einem Titel: „Jupiter and Beyond the Infinite“) der Monolith erneut, und zwar, deutlicher als früher, in einer auffälligen astronomischen Konstellation. Jupiter, seine Monde, der Monolith und wohl auch die Discovery bilden eine Gerade – da bricht längs derselben der ganze Weltraum auseinander.

Zwischen Milchstraßen, galaktischen Nebeln und Strahlenbündeln hindurch stürzt der Weltraummensch ins Unendliche, vorbei an Gebilden, die einmal an Sonnenprotuberanzen und dann wieder an Samenfäden erinnern, hinweg über Traumlandschaften in Negativ und Zweifarbendruck, an deren Himmeln mächtige Kristalle brillieren. Überraschend endet der Sturzflug in einem fahlgrünen, vom Boden her beleuchteten Raum, einer Art Hotelzimmer mit Louis-XVI.-Mobiliar, in dem Bowman sich in verschiedenen Phasen des Alterungsprozesses selbst begegnet, bis er als Greis von gut hundert Jahren am Fuß eines Bettes wieder den schwarzen Quader wahrnimmt. Er streckt die Hand nach ihm aus – und wird neu geboren. Der Fötus einer neuen Menschheit, erdballgroß, blickt aus weißen Augen den Zuschauer an. [. . .]

Keine andere als die technologische Intelligenz zeichnet den Menschen aus – der Hoffnung auf seine Emanzipation gilt nur ein Achselzucken. Nicht das Konzept von der irritierenden und womöglich befreienden Möglichkeit eines Anderen – das ideale Feld wirklicher Science Fiction – bildet die Basis des Films; vielmehr begegnet im Unbekannten immer nur triumphierend das schon Bekannte. [. . .]

Enno Patalas, Filmkritik, 9/68

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Science Fiction und „Letztes Jahr in Marienbad“, die Welt der Astronauten und der psychedelische Farbenrausch eines LSD-Trips standen Pate bei Stanley Kubricks Raum-Odyssee aus dem Jahre 2001. Selten hat ein Film in den soviel Intelligenz und künstlerische Phantasie eingegangen sind, den Zuschauer so ratlos entlassen.

Ein Fehlunternehmen also und doch voller Wunder und Eingebungen, die seinen Schöpfer in Ehren scheitern ließen, ein Film, der in kosmischen Dimensionen denkt, allerdings mit Wiener Walzern als Begleitmusik. [. . .] Das „Leben an Bord“ wird mit wissenschaftlicher Akribie vorgeführt: die Schlafsarkophage der Mannschaft, die in Pastenform verabreichten Speisen, die Saugschuhe, mit deren Hilfe die Stewardess wie eine Fliege an der Wand hochklettert, dazu eine Unmenge geheimnisvoller Apparate.

Leider fehlt der begleitende „Urania“-Vortrag, um den Laien auf den letzten Stand der Forschung zu bringen. [. . .]

Hans Sahl, Die Welt , 27. 4. 68

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Nach dem spektakulären Erfolg von „Dr. Strangelove“ hatte sich Kubrick mehr als drei Jahre Zeit gelassen, um diesen neuen Monsterfilm zu bauen. Als er schließlich fertig wurde, hatte die Produktion mehr als zehn Millionen Dollar verschlungen und Kubrick sich mit der Produktionsfirma fast völlig zerstritten.

„2001“ entspricht nämlich den gängigen Vorstellungen von einem Science-Fiction-Film so wenig, dass er sowohl das Publikum wie seine Kritiker ratlos entlässt. Die Freude am Aufwand ist so infantil wie der Versuch, Zukunft als eine technologische Wunderwelt abzubilden, in der im Grunde immer noch die Probleme eines 20. Jahrhunderts bewältigt werden müssen. [. . .]

Franz Schöler, Handelsblatt , 21. 10. 68

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„2001: Odyssee im Weltraum“, Stanley Kubricks gigantische Astronauten-Ballade mit Rekordlaufzeiten in den USA, von den Enthusiasten hoch gelobt und von den Kritikern trotz Einwänden und Unbehagen als Abenteuer empfohlen, das man unbedingt gesehen haben sollte, zieht nur verhalten seine Leinwand-bahn im Royal-Palast. In dem gleichen Haus, in dem Doktor Schiwagos Liebe und Leid dreieinviertel Jahre lang die Herzen entzückte und am letzten Tage so ausverkauft war wie am ersten.

Harro Zimmer, Leiter der Abteilung für Satellitenbeobachtung an der Wilhelm-Foerster-Sternwarte in Berlin und schon aus Berufsgründen an dem Film interessiert, sagt dazu:

„Der Film ist über zwei Jahre zu spät nach Berlin gekommen; nach zwei Mondflügen hat sich unser Verhältnis zur Raumfahrt geändert, sie ist Selbstverständlichkeit geworden.“

Ilona Schrumpf, Berliner Morgenpost , 1.3. 1970

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[. . .] Kubricks visionäre Sternfahrt – Spieldauer: mehr als zweieinhalb Stunden – bietet die aufwendigste Zukunftsschau, die jemals gedreht wurde. Fast 57 Millionen Mark investierte die amerikanische Zelluloidfirma Metro-Goldwyn-Mayer in das Raum-Unternehmen, 15 Millionen Mark mehr, als ursprünglich geplant. An den Arbeiten für den Film, der im Herbst in der Bundesrepublik anlaufen wird, beteiligten sich 36 Weltraumexperten und 40 Industrieunternehmen, etliche Spezialisten der US-Raumfahrtbehörde Nasa sowie ein IBM-Computer.

Der Spiegel, 20. 5. 68

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Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ ist einer der aufregendsten Filme der letzten Jahre. Ein intelligenter Regisseur hat eine schier unvorstellbare Maschinerie in Bewegung gesetzt. Und der Aufwand hat, im Gegensatz zu der gewöhnlichen Erfahrung, nicht den Geist getötet. Cinerama, Panavision und Metrocolor wurden vernünftig benutzt. Was Kubrick an technischem Aufwand aufbietet, stellt jeden Bond-Film in den Schatten, nur dass es Kubrick nicht dem Gag dient, sondern der genau berechneten Zukunftsvision. [. . .]

Kubrick denkt in diesem Punkt weiter. Seine Zukunftsvision beschäftigt sich mit der „Macht“ der nächsten Jahrzehnte, der Macht des allumfassenden Informiertseins. Der Anachronismus gängiger Zukunftsmodelle, die Filme von Godard und Truffaut eingeschlossen, kam aus der Idee, die Mächte der Zukunft würden es nötig haben, den gewöhnlich Sterblichen irgend etwas vorzuenthalten, die Sprache (Truffaut) oder Gefühle (Godard).

Kubrick weiß, dass die Mächtigen der Zukunft auf der Ebene rationaler Entscheidungen derart perfekt sein werden, dass Menschen mit ihrem emotionalen Belastungen es schwer haben werden, überhaupt noch zu konkurrieren. Die Übermacht der Computer wird gewiss nicht darin sich ausdrücken, dass sie die Menschen terrorisieren, sondern dass sie viele von den Menschen bisher verrichtete Tätigkeiten derart präzis beherrschen, dass Menschen überflüssig werden. Und diese Form, den Menschen außer Gefecht zu setzen, ist effektiver und schwerer angreifbar als die durch direkten Terror. [. . .]

Dieser mystische Schluss fällt, genau wie der Anfang, ab gegen den übrigen Film. Kubrick, der selbst produziert hat, muss diese lächerliche und seiner nüchternen Darstellung widersprechende Einleitung und den mystischen Schluss selbst verantworten, wiewohl die Brüche geradezu paradigmatisch wie Produzenten-Einwirkungen aussehen. Kubricks Film zeigt, wie gleichgültig es letzten Endes ist, ob ein Produzent dem Regisseur einen Film vermasselt oder ob er selbst als Produzent zu denken gezwungen ist und deshalb, von seiner Vorstellung vom Publikumsgeschmack ausgehend, seinen Film nachträglich mit mystischen Verbrämungen versieht.

Solange ein Autor-Regisseur-Produzent gezwungen ist, sich der Verkaufsmaschinerie des heutigen Films zu bedienen, muss er, will er nicht gegen seine eigenen Interessen handeln, die Funktion des Regisseurs und Produzenten getrennt wahrnehmen. Und es ist nicht sicher, ob die Personalunion von Regisseur und Produzent den Kampf um die geistige Konsequenz immer zugunsten des Autors beeinflusst. Kubricks Film ist ein Gegenbeispiel.

Werner Kließ, Film , 9/68

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[. . .] Dieses Problem ist das Thema des Films, der zehn Millionen Dollar gekostet hat und voraussichtlich ein Vermögen einbringen wird. In Amerika sind viele Kinos schon zum voraus ausverkauft, und in London zeigen die Zuschauer nicht weniger große Begeisterung. Wird man in Paris diesen Film im kommenden September ebenso enthusiastisch begrüßen? Obwohl die Science-Fiction-Geschichte lang ist (die Vorführung dauert zwei Stunden und vierzig Minuten) und sehr langsam entwickelt wird, fesselt sie, und der Schluss bietet zwanzig Minuten berauschende Formen und Farben.

[. . .] Hal redet, überlegt und hat Gefühle (nach Kubrick, der sich auf Fachleute beruft, werden die Computer des Jahres 2000 diese Fähigkeiten haben). Dem menschlichen, dem allzu menschlichen Roboter unterläuft ein Fehler. Die Astronauten beschließen, ihn auszuschalten. Hal 9000 setzt sich zur Wehr. Er lässt die beiden nach einer ihrer Exkursionen ins Weltall nicht mehr ins Raumschiff hinein. Einer der Astronauten kann jedoch die Türe aufbrechen. Er zerstört Hal und setzt, verfolgt von einer großen rechteckigen Platte, die Reise durch die seltsame, phantastische Dimension allein fort. [. . .]

Franck Jotterand, Die Weltwoche , 16. 8. 68