schnittplatz
: Wer hören will, muss lesen

Wer liest, ist doof. Denn Literatur muss schließlich nicht mehr in mühsamer Schmökung erkämpft werden. Wozu gibt es Hörbücher? Ohne Lesebrille zu genießen. Und bei einer literarischen Mußestunde in der Wanne patscht man keine Seiten nass, sondern kann sich ganz von der Stimme aus dem badezimmerlichen Rekorder verwöhnen lassen. Den Trend zum Zuhören hat auch der Buchmarkt erkannt und rüstete sich auf der Leipziger Buchmesse für den großen Lauschangriff.

Erstmals wurde der Hörbuchpreis „HörKules“ verliehen, und Stände, an denen keine Kopfhörer baumelten, waren so gut wie abgemeldet. Nach dem E-Book, im vergangenen Jahr in Frankfurt noch kräftig angepriesen, krähte kein Verleger mehr. Diese akustisch-literarische Welle schwappt auch prompt über die gesammelten deutschen Rundfunkanstalten. Auf der Messe warben sie in einem Hörbuch-Forum für ihr vertontes Literaturprogramm. Im Vorfeld wurde vermutlich in allen Presseabteilungen ein paar goldene Gehörgänge für den kessesten Werbespruch ausgeschrieben. „Wer hört, liest besser“, meint zum Beispiel das Deutschland-Radio in feinstem Sinn-Crossover. Auch der WDR scheint ausschließlich textende Synästhetiker zu beschäftigen, die „die Welt mit eigenen Ohren sehen“. Und der MDR warnt: „Das geht ins Ohr.“ Aua. Der SWR dagegen fordert: „Nicht nur Lesen – Hören sie selbst.“ Nur durch intensive Absprache scheint es den Sendern gelungen zu sein, die Dopplung nahe liegender Slogans aus dem semantischen Feld rund um Hör- und Lesbares zu vermeiden. Dennoch müssen sie in Kauf nehmen, dass ihre Werbephrasen von interessierten Leser-Hörern mit dynamischem Augenrollen quittiert werden. Vielleicht nicht beim SFB – der hütet immerhin einen „Ohrenbären“. Der Berliner Sender ist der einzige, der damit in der deutschen Tinnitus-Liga mitspielen kann.

Die wirbt allerdings sehr überraschend und auditiv-unabgedroschen an ihrem Stand direkt nebenan für gesundes Hören. Auf einer Postkarte wird demonstriert, wie ein Mensch mit Piepsen im Ohr den Satz „Schreib mal wieder“ falsch verstehen kann: „Reib mal lieber.“ Ist das nicht ohrenschmausig?

JUTTA HEESS