Ziviler Ungehorsam gegen Reiseverbot

Flüchtlinge fordern in Berlin, die „Residenzpflicht“ endlich abzuschaffen. Grünen-Chefin Claudia Roth schließt sich an

BERLIN taz ■ Der Bauarbeiter am Brandenburger Tor schüttelt den Kopf: „Die sollen doch arbeiten gehen.“ Gemeint sind die rund 300 Flüchtlinge, die zum Auftakt der „bundesweiten Aktionstage gegen die Residenzpflicht“ mit lauten Sprechchören und großen Transparenten „Free Movement – Bewegungsfreiheit“ bei Nieselregen vom Berliner Schlossplatz zum Brandenburger Tor zogen.

Als ein Asylbewerber aus Kamerun dem Bauarbeiter erklärt, dass er gerne arbeiten würde, aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen aber nicht darf, schweigt der Mann überrascht.

Für eine Gruppe argentinischer Touristen hingegen sind die Forderungen sofort nachvollziehbar: „Während der Militärdiktatur ist meine Schwester nach Spanien geflohen“, erzählt eine Frau aus der Gruppe. „Asylsuchende müssen geschützt werden.“ Während die Touristen und Bauarbeiter ungehindert das Brandenburger Tor passieren können, werden die demonstrierenden Flüchtlinge von einer Polizeisperre aufgehalten.

Nach kurzer Verhandlung dürfen schließlich sechs Sprecher des Demonstrationszuges zum Reichstag weitergehen. Dort überreichen sie der grünen Bundestagsabgeordneten Annelie Buntenbach ein „Memorandum der Flüchtlinge in Deutschland“. Darin heißt es: „Die deutsche Regierung kann nicht vorgeben, Rassismus zu bekämpfen, während es gleichzeitig rassistische Gesetze gibt, die den Hass schüren.“ Die Parlamentarier werden aufgefordert, alle Gesetze, die Vorurteile bestärken, abzuschaffen und ein Antirassismus-Gesetz zu verabschieden.

Rund 1.500 Unterschriften haben die Brandenburgische Flüchtlingsinitiative und „The Voice – Africa Forum“ aus Jena gesammelt. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth sprach sich gestern dafür aus, die „Residenzpflicht“ abzuschaffen. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit verstoße gegen die Menschenwürde und müsse mit einer Neuordnung der Zuwanderungspolitik aufgehoben werden.

Für Betty M. aus Kenia, die seit fünf Jahren in der brandenburgischen Stadt Prenzlau lebt, ist der Protest „überlebensnotwendig“. Mit 15 weiteren Bewohnern des Prenzlauer Flüchtlingsheims ist die 43-Jährige mit dem Zug nach Berlin gekommen – „ohne Urlaubsschein natürlich“, sagt sie lächelnd. „Das ist ein Akt des zivilen Ungehorsams.“

Zwei Mal wurde Betty M. von rechten Jugendlichen im Bus angegriffen, als sie auf dem Weg vom „Flüchtlingsheim zwischen dem Wald und dem Stadtrand“ zum Einkaufen in die Stadt fuhr. Ohne zu zögern vergleicht sie die Residenzpflicht mit den Apartheidgesetzen Südafrikas: „Das Gesetz dient dazu, uns zu diskriminieren, zu Menschen zweiter Klasse zu machen und uns von der deutschen Bevölkerung zu segregieren.“

Betty M. und ihre Mitstreiter wollen die nächsten beiden Tage in Großraumzelten auf dem Schlossplatz verbringen. Dort soll in Workshops und Podiumsdiskussionen mit der Berliner Bevölkerung diskutiert und weitere Initiativen geplant werden. Zur Großdemo am Samstag wird mit rund 1.000 weiteren Asylbewerbern aus Thüringen, Sachsen und Norddeutschland gerechnet. Doch nach wie vor mangelt es an Geld, um Transportmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen: „Spenden für Busse dringend gesucht!“, lautet deshalb der Aufruf der Organisatoren.

HEIKE KLEFFNER

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