Vom Nationalstolz zur Kunstgeschichte

Die Alte Nationalgalerie ist das erste fertig renovierte Haus auf der Berliner Museumsinsel. Noch bis morgen steht das leere Museum für Besucher offen

Der Sieg im Deutsch-Französischen Krieg lieferte nicht nur Mittel zur Fertigstellung, sondern auch die ersten Motive für das 1876 eröffnete Museum

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Lang waren am Samstag die Schlangen derer, die Tickets für ein leeres Museum erstehen wollten. Die Alte Nationalgalerie, seit 1998 geschlossen, hat nach Abschluss der Generalsanierung vier Tage lang geöffnet, um ihre Architektur und die Geschichte ihrer Nutzung pur erleben zu lassen. In den kommenden Monaten wird an der Wiedereinrichtung gearbeitet. Das Museum, das von Säulen umstanden in der Hülle eines Tempels steckt, zu dem eine große Freitreppe führt, verbindet Barock und Klassizismus, feudale Geste und den Anspruch des Bildungsbürgertums aufs theatralischste. Mit seiner Renovierung hat die Umsetzung des Masterplans für die Museumsinsel begonnen, der notwendige Sanierungen der Bausubstanz mit der Modernisierung des Konzepts verbindet.

„Ich komme immer wieder nach Berlin, gerade hier in den Osten, um zu sehen, was gemacht wurde, wo so viel kaputt war“, erzählt eine pensionierte Lehrerin aus Mecklenburg in der Warteschlange. Sie winkt mit der Hand über die Insel und erklärt Touristen, die wissen wollen, wofür man hier ansteht, dass diese ganze Landschaft aus Säulen, Giebeln und Kolonnaden zu den Museen gehört. Später ergänzt sie mit ihren Erinnerungen die Texte der jungen Damen, die durch das Haus führen. Die werden an diesen Tagen nicht selten von den Besuchern korrigiert. „Die Lampe da nehmen Sie aber wieder ab“, sagt ein Besucher zur Aufsicht und weist streng auf einen Beleuchtungskörper, dessen Scheibe den Blick auf Goldleisten, Medaillons und Stuckornamente in den Apsiskabinetten schneidet. Doch solch offensichtliche Konflikte zwischen Architektursprache und Funktionalität sind selten.

„Der Wunsch nach Neutralisierung des Dekors und der Oberflächen wurde im Laufe der Zeit durch den immer größer werdenden Respekt vor den Arbeiten der in den letzten hundert Jahren an diesem Haus tätigen Gestaltern abgelöst“, benennt HG Merz, Architekt der Instandsetzung, einen Leitgedanken der Sanierung. So versteht sich die neue Fassung des Hauses als transparente Membran gegenüber einer Geschichte, in der wechselnde Ansprüche an die Funktion einer Nationalgalerie gestellt wurden. Die Bauidee von der aufgesockelten Säulenhalle geht auf Pläne für ein nationales Monument zurück, das der Architekt Friedrich Gilly um 1800 entworfen hatte. Sechzig Jahre später vermachte der Berliner Bankier und Sammler Konsul Wagener seine Gemälde Prinz Wilhelm, dem späteren Kaiser, unter der Bedingung, eine nationale Galerie anzulegen, die als erstes Museum der Zeit auch die Künstler der Gegenwart berücksichtigt. Das war der Auslöser für die Gründung der Nationalgalerie und ihren Entwurf durch August Stüler. Der Sieg im Deutsch-Französischen Krieg lieferte nicht nur Mittel zur Fertigstellung des 1876 eröffneten Museums, sondern auch die ersten Inhalte: Schlachten- und Historiengemälde.

Geblieben ist aus dieser Zeit der patriotischen Instrumentalisierung der Kunst ein Fries im Treppenhaus, der von Karl dem Großen bis zum Philosophen Fichte reicht. Lessing hat Goethe und Schiller im Arm, Maler und Könige sitzen zusammen, Kunst, Macht und Wissenschaft reichen sich die Hand. Solch rückwärts gesponnene Begradigungen brauchte die Idee von der Nation. In der prächtigen Querhalle des ersten Geschosses illustrieren Wandgemälde das Nibelungenlied, das von den deutschen Romantikern auf der Suche nach einem heroischen Ursprung wiederentdeckt worden war.

Im obersten Geschoss dokumentieren die Fresken aus der Casa Bartholdy, die samt Mauerwerk mit einem Kran durch das Dach gehievt wurden, die rückwärts gewandte Schwärmerei der Gründergeneration. Zwei große Säle mit leicht gewölbten Decken und Oberlicht wurden hier hinzugewonnen, um die Bilder von Caspar David Friedrich und Schinkel, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf Umwegen im Charlottenburger Schloss gelandet waren, wieder in die Sammlung des 19. Jahrhunderts einzubeziehen.

Ende des 19. Jahrhunderts begann der Direktor Hugo von Tschudi, den „patriotischen Bilderspeicher“ zu verabschieden. Erst seine Erwerbungen von französischen Impressionisten gaben dem Museum internationalen Rang. So wird sich die Sammlung in der mittleren Ebene zur europäischen Kunstgeschichte weiten. Je tiefer man in der Nationalgalerie hinabsteigt, je mehr sich die Kunst der Moderne nähert, desto prächtiger entfaltet sich der gestalterische Rahmen. Farbige Wandbespannungen, Ornamente in Sockelzonen und Decken, Eichenparkett und Marmorböden geben der Kunst eine historisiernde Fassung zurück.

Museumsprojekte sind wie Enzyklopädien. Sie werden schwerlich in der Amtszeit ihrer Planer vollendet. Der Masterplan von Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen und Direktor der Alten Nationalgalerie, hat für Sanierung, neue Erschließungen und Vernetzung der fünf Museen auf der Insel zehn Jahre und Kosten von zwei Milliarden Mark veranschlagt. Bisher sollen Bund und Land Berlin die Kosten anteilig tragen; aber in die Zuversicht des Gelingens hat die Krise der Berliner Finanzpolitik schon tiefe Risse getrieben. Als einzige Hoffnung bleibt, dass der Bund einspringen möge. Sonst könnte die Alte Nationalgalerie, die am 2. Dezember wiedereröffnet wird, das einzige Museum bleiben, das seinen Zeit- und Kostenrahmen eingehalten hat.

Doch erst mal wird der Abschluss der Bauarbeiten gefeiert. Darum verdeckten am Samstag, kaum waren die Baucontainer abgezogen, wieder Planen und Cateringwagen die Kolonnaden vor dem Museum. Wer hineinwollte, musste an gedeckten Tischen im Hof vorbei und über eine provisorische Bühne steigen, auf der später am Abend der Opernstar Gwyneth Paltrow erwartet wurde. Der Soundcheck am Nachmittag mit „Ich tanze Samba“ ließ die Besucher aber heftig zusammenzucken und eine Ahnung aufblitzen, dass die angedachte Vernetzung von Museums- und Eventkultur auch gewöhnungsbedürftig ist. Zum Masterplan gehört eine Öffnung der Museumshöfe als öffentlicher Raum und Bühne städtischen Lebens. Marketingüberlegungen verbinden sich da mit dem Wunsch, nicht nur als museale Vergangenheit gesehen zu werden.

Besichtigung der Alten Nationalgalerie noch heute und morgen, 10–18 Uhr, Eintritt 4 DM