Ein Leben in Unsicherheit

Flüchtlinge in der Ukraine leben von 30 Dollar monatlich, unterliegen restriktiven Regelungen und sind der Willkür der Miliz ausgesetzt. Doch kürzlich hat das Parlament in Kiew ein Gesetz verabschiedet, das ihren Status etwas verbessert

aus Kiew BARBARA OERTEL

Die Luft in dem vier mal fünf Meter großen Raum steht. Die Wände haben schon seit Jahren keine neue Farbe mehr gesehen. Dutzende Schwarzafrikaner kauern hier auf Holzbänken und klapprigen Stühlen. Die meisten starren teilnahmslos vor sich hin. Im Auffangszentrum in Kiew, eine Einrichtung des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und landesweiter Hauptanlaufpunkt für Gestrandete aus aller Welt, ist heute Zahltag.

Ein Mann sitzt etwas abseits, das Gesicht in den Händen vergraben. Maurice (*) stammt aus dem Kongo und ist vor zwei Jahren aus seiner Heimat via Nigeria und Weißrussland in die Ukraine geflohen. „Mein Gesuch auf Anerkennung als Flüchtling wurde abgewiesen. Jetzt bewege ich mich ohne Dokumente. Jedes Mal, wenn mich die Polizei erwischt, muss ich Strafe zahlen“, sagt er leise und schüttelt den Kopf. „Ich habe eine Rückenverletzung und brauche dringend eine Operation, aber die bekomme ich nicht. Meine ukrainische Freundin ist schwanger, aber heiraten kann ich sie nicht, weil ich keine Dokumente habe“, sagt er. „Meine Situation ist ausweglos, ich weiß nicht, wie ich hier weiter leben soll.“

Das wissen viele Flüchtlinge nicht. Zwar hat sich die Ukraine bei der Gewährung des Flüchtlingsstatus großzügiger gezeigt als die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Mittlerweile sind 2.959 Flüchtlinge offiziell registriert, mit Abstand die meisten davon (1.610) aus Afghanistan. Russland brachte es bislang nur auf knapp 500 von Staats wegen anerkannte Flüchtlinge.

Dennoch gerät für viele Flüchtlinge der Alltag in der Ukraine zum Albtraum. Schuld daran sind vor allem ständige Diskriminierungen, Brutalität und Willkür von Seiten der Miliz. Nicht selten verschwindet der monatliche Obolus von umgerechnet 30 Dollar, der jedem anerkannten Flüchtling zusteht, als „Strafe“ in den Taschen der Ordnungshüter. Hinzu kommt eine äußerst restriktive Gesetzgebung, die eine Arbeitsaufnahme nahezu unmöglich macht, die Bewegungsfreiheit massiv einschränkt und so den Betroffenen ihren täglichen Überlebenskampf zusätzlich erschwert.

Ashenafi Bejiga Rube aus Äthiopien, seit kurzem mit einem ukrainischen Pass ausgestattet, ist als Mitarbeiter des Auffangzentrums Verwalter des täglichen Flüchtlingselends. „Nach dem Gesetz muss der Flüchtlingsstatus bislang alle drei Monate erneuert werden“, sagt Rube. Dafür müsse der Betreffende eine Unterkunft nachweisen. Doch diesen Nachweis wolle kein Wohnungsbesitzer ausstellen. „Denn die Leute profitieren von staatlichen Subventionen für Gas, Wasser und Strom. Wer offiziell vermietet und dadurch Nebeneinkünfte hat, läuft Gefahr, diese Subventionen zu verlieren.“

Die Folge: Die Flüchtlinge schmieren die Mitarbeiter bei der Behörde oder kaufen sich fiktive Wohnraumbescheinungen, wohnen aber woanders. „Wenn dann die Miliz zur Kontrolle kommt“, sagt Rube, „müssen die Menschen wieder Strafe zahlen und landen auf der Straße.“

Die Vorschrift, alle drei Monate zwecks Registrierung stramm zu stehen, bringt noch ein anderes Problem mit sich. „Auf so einer Basis stellt niemand einen Flüchtling ein“, sagt Rube. Aber ein Verdienst sei überlebensnotwendig. Die 30 Dollar reichten vorne und hinten nicht. Bei Mieten von 50 Dollar für Ein-Zimmer-Wohnungen sei eine Belegung mit mindestens acht Flüchtlingen Standard.

Obwohl der UNHCR sich des Ausmaßes der Probleme bewusst ist, sind den Mitarbeitern oft die Hände gebunden. Zwar sind die Flüchtlingszahlen in den vergangenen Monaten gesunken, dennoch steuern immer noch im Schnitt 50 bis 60 Personen pro Monat das Zentrum in Kiew an und suchen um Unterstützung nach – viele von ihnen Illegale. „Wir versuchen trotzdem, auch diesen Menschen irgendwie zu helfen“, sagt Wassili Feodorenko von der Flüchtlingshilfsorganisation „Edelweiß“, die, vor drei Jahren gegründet, vom UNHCR mit 500.000 Dollar jährlich finanziert wird. „Und wir tun das, obwohl wir damit gegen das Gesetz verstoßen.“

Wenn auch die finanziellen Probleme weiterhin fast unlösbar erscheinen, könnte sich jetzt für die Flüchtlinge in der Ukraine doch einiges zum Besseren wenden. Im Juni verabschiedete das Parlament ein neues Flüchtlingsgesetz. In dem Gesetz, das unter anderem die Verleihung des Flüchtlingsstatus auf unbegrenzte Zeit vorsieht und die Dreimonatsregistrierung zugunsten einer Einjahresfrist abschafft, verpflichtet sich die Ukraine ausdrücklich zur Einhaltung der Grundsätze der UNO-Flüchtlingskonvention aus dem Jahre 1951, die Kiew bislang noch nicht unterzeichnet hat. Dazu gehört das Prinzip der Nicht-Zurückweisung genauso wie das der Familienzusammenführung und die Kooperation mit internationalen Organisationen.

Doch viele haben die Hoffnung längst verloren. Aurelien (*) ist Angolaner, anerkannter Flüchtling und als Fürsprecher seiner Landsleute weder bei offiziellen Stellen noch beim UNHCR sonderlich willkommen. Nicht umsonst will er sich lieber an einem neutralen Ort treffen. „Mehrere Monate haben wir Gras gegessen, weil die Unterstützung nicht ausbezahlt wurde“, erzählt er. „Wir leben hier wie Sklaven. Sie konnten uns nicht kolonialisieren, dafür profitieren sich jetzt von unsere Situation. Wenn wir schon sterben müssen, dann doch lieber zu Hause“, sagt Aurelien. Trotzdem will er weiter für die Rechte der Flüchtlinge kämpfen. „Und wenn ich dafür bis nach Genf zu Fuß gehen muss.“

(*) Name geändert