Jagd auf „Schwarze“ in Moskau

Bei einem Überfall jugendliche Banden auf Kaukasier kommen zwei Menschen ums Leben. Solche Vorfälle sind keine Seltenheit. Der Hass wurde mit dem Tschetschenienkrieg noch verstärkt. Jetzt will der Kreml tolerantes Bewußtsein fördern

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Bei einer Massenschlägerei im Südosten Moskaus sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Laut Polizeibericht überfielen Dienstagabend zwei- bis dreihundert Jugendliche einen Markt in Zarizino und schlugen blind auf die meist aus dem Kaukasus stammenden Händler ein. Die Polizei nahm 26 Skinheads fest, die alle aus den Moskauer Vororten Mytischi und Schelesnodoroschnij angereist waren.

Als Motiv gaben die Schläger an, sie hätten sich nach einem Fussballspiel zwischen Spartak Moskau und Zenit Petersburg abreagieren müssen, das aber bereits am Sonnabend stattgefunden hatte. Gegen diese auch von der Polizei favorisierte Version spricht allerdings, dass ein Teil der Skins nach dem Pogrom in Zarizino auch noch Afghanen zusammenschlugen, die in einem nahegelegenen Hotel untergebracht waren. Elf Verletzte mussten in ein Krankenhaus eingeliefert werden

Ausschreitungen gegen dunkelhäutige Bürger „kaukasischer Nationalität“ sind in Moskau keine Seltenheit. In diesem Jahr fielen jugendliche Horden bereits vier mal gezielt und scheinbar gut organisiert über kaukasische Händler und Märkte her. Die Moskauer Staatsanwaltschaft hat unterdessen einen Sonderstab eingerichtet, der die Morde untersuchen soll. Gewöhnlich verlaufen die Ermittlungen jedoch nach geraumer Zeit im Sande.

Dem liegt ein breiter Konsens zugrunde, der vom Skin über die Polizei bis zum Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow reicht. Die Kaukasier werden als Fremdkörper begriffen, die in Moskau daher ständiger Diskriminierung ausgesetzt sind. Ob es sich bei den „Personen kaukasischer Nationalität“ um Bürger der Russischen Föderation oder Zugereiste aus den ehemaligen transkaukasischen Sowjetrepubliken handelt, spielt dabei keine Rolle.

Der Hass auf das Andere, Dunkle, Fremde ist nicht erst mit dem Tschetschenienkrieg aufgekommen. Die abgrundtiefe Verachtung reicht weit ins 19. Jahrhundert zurück, als Russland unter immensen Verlusten die Südperipherie zu unterjochen versuchte. Die Verachtung für das Andere im eigenen Haus hat auch die Zeit des Sozialismus überlebt. Dessen internationalistische Ideologie verband sich unterschwellig mit einem Rassismus des Kolonialherren.

Die rechtsradikale neofaschistische Szene in Russland ist klein und überschaubar. Radikale für die Ausschreitungen verantwortlich zu machen, erfasst daher das Problem nicht, das in der mangelnden gesamtgesellschaftlichen Toleranz gegenüber dem Fremdartigen liegt. Mit den Kriegszügen in Tschetschenien hat der Kreml diese Tendenzen zusätzlich legitimiert. Als Räuber und Verbrecher wurden die Tschetschenen bezeichnet. Sie sind, wie Präsident Putin sagte, „Banditen“. Bewusst suggerierte die Propaganda eine semantische Angleichung von „Tschetschene“, „Muslim“ mit „Terrorist“. Da es für Russen kaum möglich ist, vom Aussehen her einen Tschetschenen von einem Armenier oder Georgier zu unterscheiden, wird auch die Differenzierung zwischen Terrorist und Person kaukasischer Nationalität (lizo kawkaskoi nationalnosti) aufgehoben. Russlands Volksmund schimpft die Kaukasier „tschernye“, Schwarze.

„Person kaukasischer Nationalität“ klingt umständlich, scheint aber wertfrei zu sein. Ein Irrtum. Das Russische verwendet für „Gesicht“ und „Person“ dasselbe Wort, nämlich „lizo“. Das heisst, wer ein kaukasisches Gesicht hat, ist eine „Person kaukasischer Nationalität“, was dann wiederum soviel bedeutet wie „Mitglied einer terroristischen Vereinigung“. Und wer sich gegen diese Terroristen wehrt, macht sich logischerweise zum Mitstreiter der Anti-Terror-Allianz.

Dass der Kreml mit seinem offenen Rassismus zu weit gegangen ist, scheint er selbst erkannt zu haben. Im August verabschiedete die Regierung ein 30-Millionen-Mark-Projekt, das „dem Extremismus in der russischen Gesellschaft“ vorbauen und die „Grundlagen eines toleranten Bewusstseins“ schaffen soll.