Auch Russland will mit der Welt handeln

Um den schnellen Beitritt zur WTO zu erreichen, hat Wirtschaftsminister German Gref schon die Zölle gesenkt

MOSKAU taz ■ Militante Globalisierungsgegner und Russlands superreiche Oligarchen haben einen gemeinsamen Feind: die Welthandelsorganisation (WTO). Seit acht Jahren versucht Moskau ihr beizutreten. Während die Industriemagnaten in den Vorzimmern der Macht antichambrieren, setzen die meist jüngeren radikalen Antiglobalisten auf den Protest der Straße. Statt George Bush heizen sie ausnahmsweise dem russischen Wirtschaftsminister German Gref ein, einem kompromisslosen WTO-Befürworter. Dessen Konterfei geht regelmäßig in Flammen auf.

Moskau hat mittlerweile eine Reihe Vorleistungen für den Beitritt erbracht. Das Dickicht der Zolltarife wurde in diesem Jahr gelichtet und der Duma ein neuer Zollkodex zur Verabschiedung vorgelegt.

Die exportorientierte Wirtschaft verspricht sich von der Mitgliedschaft schnelleren Zugang zu westlichen Absatzmärkten. Obwohl hauptsächlich Exporteur von Rohstoffen und Energieträgern, will Russland mehr Fertig- und Halbfertigprodukte exportieren. Energie- und Rohstoffreserven sowie niedrigere Lohnkosten verschaffen russischen Waren durchaus Wettbewerbsvorteile. Stahlindustrie, Schiffbau und Landwirtschaft hätten Exportchancen, wenn im Westen Handelsbarrieren in diesen politisch sensiblen Industriezweigen entfielen.

Zurzeit haben 29 Länder rund 120 Einfuhrbeschränkungen gegenüber russischen Produkten verhängt, 13 davon allein die EU. Nach russischen Schätzungen entsteht der heimischen Wirtschaft dadurch ein Schaden von 2,5 Milliarden US-Dollar jährlich.

Die Befürworter hoffen darauf, dass der Beitritt den strukturellen Wandel beschleunigt und die Unternehmen zur Exportorientierung nötigt. Die Folgen sind absehbar: Ineffektive Betriebe bleiben auf der Strecke und die unheilige Allianz zwischen Politik und Wirtschaft, die bislang Innovationen blockierte, dürfte langsam zu einem Auslaufmodell werden.

Kein Wunder, wenn sich da Protest regt. Der russische Produzentenverband malt ein finsteres Bild. Entfallen Importzölle, würden 40.000 Betriebe Bankrott anmelden und 30 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. 2,5 Milliarden Dollar Mehreinnahmen durch den WTO-Beitritt würden nicht einen Bruchteil der sozialen Folgekosten abdecken.

Die Wirtschaftbürokratie um Gref ist aber der festen Überzeugung: Wenn 144 Staaten von der WTO-Mitgliedschaft profitieren, wird auch Russland keinen Schaden nehmen. Putins Unterhändler werden versuchen, Ausnahmeregelungen und großzügige Fristen für einen schrittweisen Abbau von Schutzzöllen herauszuhandeln. KLAUS-HELGE DONATH