Windräder vor der Küste

■ Die maritime Windkraftnutzung steckt noch in den Kinderschuhen. Dänen zeigen den Weg

Bernd Jessen hat gelernt zu warten. Der Windkraftpionier aus dem schleswig-holsteinischen Handewitt will seit fünf Jahren Deutschlands ersten Offshore- Windpark realisieren. Doch das Projekt SKY 2000 liegt noch immer auf Eis. „Ich hoffe, daß die Behörden im Oktober grünes Licht geben“, sagt Jessen. In der Lübecker Bucht sollen in einer ersten Ausbaustufe 30 Konverter mit einer Gesamtleistung von 30 Megawatt (MW) installiert werden. Der Abstand zur Küste beträgt knapp sechs Kilometer. Über ein Seekabel soll der Park mit der Energieübergabestation an Land verbunden werden. Wenn die Offshore- Anlagen einmal laufen, ist ihr Energieertrag unschlagbar hoch im Vergleich zu Anlagen, die Onshore stehen, also auf dem Festland montiert sind. „Die Leistung kann auf See um 30 bis 70 Prozent erhöht werden“, meint Jessen. Ein wenig frustriert blickt er auf die dänischen Planer. Die haben schon lange Praxiserfahrungen mit seegestützten Konvertern gemacht. Seit 1991 produzieren elf Pilotanlagen vor der Ostseeinsel Lolland Windstrom. Und die bislang weltweit größte maritime Windfarm befindet sich im Niedrigwasser des Riffs vor der Insel Tunø Knob. Zehn Windmühlen wurden in zwei Reihen errichtet und kommen im Jahresdurchschnitt auf einen Stromertrag von fast 15 Millionen Kilowattstunden (kWh).

Unter Federführung des dänischen Umwelt- und Energieministers, Svend Auken, soll die Offshore-Nutzung in den kommenden Jahren gezielt ausgebaut werden. Im Gegensatz zu Deutschland unterstützen hier Stromversorger wie Midtkraft I/S oder Elkraft die ehrgeizigen Pläne des Ministers. Im Rahmen des von der Kopenhagener Regierung beschlossenen Energy-21-Plans sollen bis zum Jahr 2030 insgesamt fast 6.000 Megawatt Windkraftleistung installiert werden, davon rund 4.000 MW als Offshore-Kapazität. Vier Standorte in der Ostsee und einer in der Nordsee sind bereits fest eingeplant. Gut die Hälfte des dänischen Strombedarfs soll dann durch Windräder gedeckt sein. „Ohne Offshore-Nutzung können wir unser hochgestecktes Ziel nicht erreichen“, erklärt Auken.

An der nächsten Mühlengeneration mit einer technischen Nennleistung von mehr als zwei Megawatt arbeiten die Entwicklungsingenieure bei NEG/Micon in Randers schon eifrig. Das Marktpotential ist riesig. Bereits 1995 veröffentlichte die Europäische Union die Studie „Offshore Wind Energy in the EC“. Ergebnis: Vor den Küsten Europas gibt es ein theoretisch nutzbares Potential zur Stromgewinnung, das doppelt so hoch ist wie der gesamte Stromverbrauch in der EU.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein Forschungsbericht des Germanischen Lloyd. Bei einer konsequenten Nutzung des gesamtdeutschen Offshore-Potentials an Nord- und Ostsee könnten 40 Prozent des Strombedarfs gedeckt werden. Der technische Aufwand im Offshore-Bereich ist im Vergleich zur Landaufstellung wesentlich höher. Installations- und Wartungsarbeiten auf See sind fast fünf- bis zehnmal teurer als an Land. Unter wirtschaftlichen und technischen Abwägungen kommen Wassertiefen von maximal etwa 25 Metern in Betracht. Außerdem sind die maritimen Windräder großen mechanischen Belastungen durch Wellenbewegungen ausgesetzt, die salzhaltige und feuchte Luft erfordert einen optimalen Korrosionsschutz.

Angesichts der hohen Investitionskosten werden Offshore- Parks nur dann konkurrenzfähig sein, wenn die Leistung wie bei den geplanten dänischen Projekten zwischen 100 und 150 Megawatt liegt, und das bei einer Wassertiefe von sechs bis zehn Meter in Küstennähe. „Je größer die Anlagen, je leistungsfähiger die Windfarm, desto wirtschaftlicher kann ein Projekt laufen“, meint Michael Schubert, Mitarbeiter der Rendsburger Firma aerodyn.

Im April stellte die Firma auf der Hannover-Messe unter der Bezeichnung „Multibrid-Technology“ den ersten Entwurf einer Super-Megawatt-Anlage vor, die speziell für die maritime Stromgewinnung konzipiert ist. Besondere Merkmale: Rotordurchmesser etwa 100 Meter, technische Leistung vier bis fünf Megawatt. „Damit stellt unser Projekt alle bisherigen Anlagen in den Schatten“, so Schubert. Von einer Serienfertigung sind die Entwicklungsingenieure aber noch weit entfernt. Deutsche Hersteller begnügen sich zur Zeit damit, erprobte und technisch ausgereifte Konverter bei ihren Kunden auf See zu plazieren. So konnte der Auricher Hersteller Enercon 43 Anlagen der 1,5-MW- Klasse an das schwedische Konsortium Vindkraftpark AB verkaufen. Sie sollen ab dem Jahr 2000 im südlichen Öresund, der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden, sauberen Strom produzieren.

In Deutschland sind insgesamt vier Offshore-Farmen als Pilotprojekte geplant. Nordwestlich von Rostock sollen 20 Windkraftanlagen in rund neun Kilometer Entfernung vom Strand Strom aus Ostseewind erzeugen. Wann mit den Bauarbeiten begonnen wird, ist noch unklar. Ähnlich sieht die Situation in Niedersachsen und auch in Schleswig-Holstein aus. Von den Vorzügen der Offshore- Technologie sind vor allem große Konzerne überzeugt, sie wittern ein neues Milliardengeschäft. So hat Shell offensichtlich Interesse, das Offshore-Know-how aus der Erdölgewinnung in die Windkraftnutzung zu stecken. Für Branchenkenner keine Überraschung. Eine maritime Windfarm mit einer technischen Leistung von 100 und mehr Megawatt läßt sich nur noch von Multis wie Shell oder direkt von den etablierten Stromkonzernen wie in Dänemark finanzieren.

„Kleine Bürgerwindparks mit drei oder vier 500-kW-Anlagen rechnen sich vor der Küste nicht, und für private Investoren sind Offshore-Parks eine Nummer zu groß“, meint Martin Kühn, Windenergie-Experte an der Universität im holländischen Delft. Auch wenn die konsequente Eroberung der Küstenstreifen durch robuste High-Tech-Mühlen ein wünschenswerter Schritt in Richtung klimaverträglicher Energiewende ist: Die Demokratisierung der Versorgungsstrukturen bei der Stromproduktion könnte dabei auf der Strecke bleiben. Michael Franken