Alle hätten es wissen können

Oberflächenverstrahlung der Atomtransporte: Deutsch-französische Arbeitsgruppen diskutierten, Abgeordnete waren eingeweiht  ■ Aus Berlin Peter Sennekamp und Reiner Metzger

Deutsche und französische Behörden beraten seit 1989 gemeinsam die Sicherheitsrisiken deutsch- französischer Atomtransporte. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) und das französische Institut für Strahlenschutz (IPSN), die zu Risiken von Atomanlagen in ständigem Kontakt stehen, haben aber angeblich über Kontaminationsprobleme, die bei einer Untersuchung im französischen Saint-Alban im Dezember 1997 erkannt wurden, nie offiziell debattiert. Der Grenzwert von vier Becquerel pro Quadratzentimeter war bei Transporten aus Deutschland in die WAA nach La Hague maximal um das 3.000fache überschritten worden.

Nachdem das Problem in Saint- Alban beim französischen Reaktorbetreiber Electricité de France und dem WAA-Betreiber Cogema diskutiert wurde, leitete am 30. Dezember daraufhin die französische Atombehörde DSIN einen „Aktionsplan“ ein. Auch von diesem Aktionsplan, der auch im französischen Parlament zur Debatte stand, will „die GRS nie etwas erfahren“ haben, wie ihr Sprecher Hans-Peter Butz gestern gegenüber der taz erklärte. In ihrem Dementi erklärte die dem Bundesumweltministerium unterstellte GRS, sie habe „keine Hinweise von anderen Stellen auf Kontaminationsbefunde beim Transport von Brennelementen aus deutschen Kernkraftwerken“. Erst im April 1998 will sie von Transportkontaminationen erfahren haben.

Der überschrittene Grenzwert war auch Volksvertretern in der Region um La Hague und den Verladebahnhof Valognes längst bekannt: „Wir Abgeordneten wußten schon länger, daß es Probleme mit diesem Grenzwert bei den Atomtransporten gab“, so gestern Claude Gatignol, Abgeordneter in der Pariser Nationalversammlung, zu dem Skandal um die radioaktiven Partikel auf den Castoren. Gatignol ist für das Departement La Manche in das Parlament gewählt. Dort steht die Wiederaufarbeitungsanlage von La Hague. Trotz der unsauberen Transporte sah und sieht Gatignol aber keinen Anlaß, die Bevölkerung der Region zu alarmieren: „Die geringe Strahlung an der Oberfläche der Transportbehälter richtet doch überhaupt keinen Schaden an. Ich bin doch nicht gewählt, um meine Bevölkerung unnötig zu beunruhigen“, so Gatignol gestern zur taz. Er ist Abgeordneter des liberalen Flügels der UDF und war auf Einladung der FDP in Berlin.

Der Betreiber der WAA in La Hague, die Cogema, habe die AKW-Betreiber aufgefordert, ihre Behälter wirkungsvoller zu reinigen. „Die Cogema hat es bestimmt auch den Stromunternehmen in Deutschland gesagt“, so Gatignol. Und es habe auch einen Effekt dieser Konsultationen gegeben: Während früher bei etwa 25 bis 30 Prozent der Transportbehälter der Grenzwert für die Oberflächenkontamination überschritten worden sei, wären es nun nur noch 12 Prozent.