■ SURFBRETT
: Mein Schlüssel gehört mir

Die einen dürfen gar nichts sehen, die andern alles. Eine Lübecker Firma will ein Programm verkaufen, das Sexbilder erkennen kann. Geschrieben haben es britische Programmierer, die wahrscheinlich eine schlimme Jugend im Internat verbracht haben. Die Lübecker beschreiben die Vorzüge ihres „ImageCensor“ so: „Flexible Einstellungen ermöglichen verschiedene Verhaltensweisen, sobald ein verdächtiges Bild entdeckt wurde – vom Sperren des gesamten Systems bis hin zum unauffälligen Speichern und Protokollieren der betrachteten Bilder. In vernetzten Systemen kann Image Censor sogar den Namen des aktuell angemeldeten Benutzers aufzeichnen.“

Sadisten wenden sich vertrauensvoll an die Firma „Wise“ in der Seelandstraße 3, 23569 Lübeck, elektronisch erreichbar unter wise@wise.tzl.de. Vermutlich funktioniert die Spitzelsoftware überhaupt nicht, skandalös ist sie dennoch. Sie paßt in die Landschaft. Wenn es nach deutschen Regierungsmitgliedern geht, gelten im Internet die einfachsten Persönlichkeitsrechte nichts mehr. Am 28. April forderte Innenminister Kanther ein Gesetz, das es der Polizei erlaubt, jederzeit verschlüsselte Briefe zu lesen. Das Telekommunikationsgesetz hat im letzten Jahr die Internetprovider zu unfreiwilligen Komplizen gemacht. Sie sind verpflichtet, ihre Kundendaten der Polizei zur Verfügung zu stellen. Doch dem Bonner Abgeordneten Erwin Marschewski, CDU/CSU, reicht das noch immer nicht. Am 5. Mai schrieb er auf der Website seiner Fraktion: „Ein Kryptogesetz ist die Antwort auf die internationalen Verbindungen der Organisierten Kriminalität sowie auf deren High-Tech-Einsatz: Sehr oft gehören Verschlüsselungsverfahren, Handys und Laptops zum Handwerkszeug der organisierten Kriminellen.“

Nur zwei Prozent der Deutschen nutzen das Internet. Gegen die britischen und Lübecker Neurotiker können sie sich gut wehren, gegen den Abgeordneten Marschewski und seinen Herrn und Meister weniger. Nicolas Reichelt vom Institut für Neue Medien in Frankfurt am Main will es trotzdem versuchen. Er ruft zu einer Netzkampagne auf unter der Parole: „Verhindert ein Kryptographiegesetz!“ Die Argumente sind in überwältigender Ausführlichkeit nachzulesen unter www.krypto.de/. Es ist leicht, an der Kampagne teilzunehmen. Besitzer von Websites müssen auf ihre Homepage nur das kleine Schlüsselloch setzen, das als Protestsymbol gilt – am besten neben das amerikanische Band für die Redefreiheit, das allmählich verblaßt. niklaus@taz.de