Castor-Stopp unwirksam

■ Ministerin gibt nicht die nötige Anweisung. Geistertransport und Bundesamt im Zwielicht

Berlin (taz/dpa) – Der von Angela Merkel veranlaßte Stopp der Atomtransporte in Deutschland ist nach Darstellung von Niedersachsens Umweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) ohne Rechtswirksamkeit. Das habe Merkel am Dienstag vor Vertretern der Landesumweltministerien in Bonn einräumen müssen, sagte Jüttner gestern in Hannover. Die Bundesumweltministerin habe den Stopp nicht rechtswirksam verfügt, weil sie das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter bisher nicht angewiesen habe, die Genehmigungen für alle Transporte sofort auszusetzen. Sie verlasse sich lediglich auf Zusagen aus der Energiewirtschaft, kritisierte Jüttner.

Die Fragen um den angeblichen Castor vom 27. Mai – eine Woche nach dem definitiven Stopp der Transporte – sind immer noch ungeklärt. Die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz (Argus) in Koblenz hatte an der Bahnstrecke Koblenz–Trier eine Strahlenquelle gemessen, die genau den bisher gemessenen Brennelement-Transporten glich (taz von gestern). Alle zuständigen Stellen dementieren eine Castor-Fahrt.

Das Umweltministerium in Rheinland-Pfalz sagte am Dienstag, es handele sich um einen Transport von Uranhexafluorid, ein Ausgangsprodukt bei der Produktion von Brennstäben für AKWs. Ein solcher Transport kam an dem Tag von Frankreich tatsächlich die Moselstrecke hoch. Sowohl nach Angaben der Empfänger des Urans, der Urenco in Gronau und Jülich, als auch nach Erfahrungen der Meßgruppe von Argus ist das Strahlenniveau eines solchen Transports aber um das Vier- bis Zehnfache niedriger als die am 27. Mai am Gleis gemessene Aktivität. Weil die Bahn über den genauen Verlauf von Atomtransporten „grundsätzlich keine Angaben“ macht, wird die Lösung wohl bis zum 16. Juni auf sich warten lassen: Dann wollen die Grünen das Thema auf die Plenarsitzung des Mainzer Landtags setzen.

Die Gewerkschaft der Polizei will sich jedenfalls nicht mehr auf die Aussagen von Ministerin Merkel verlassen. Die GdP in Schleswig-Holstein hatte am Dienstag bei der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig Strafanzeige gegen Merkel wegen des Verdachts der gefährlichen und schweren Körperverletzung gestellt. Angela Merkel will deshalb in Kürze ein Gespräch mit den Polizeigewerkschaften führen. Dabei solle es um die „Sorgen von Polizisten und Angehörigen“ wegen möglicher Gesundheitsgefährdungen gehen.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) gerät im Atomtransportskandal erneut in Verdacht, bereits seit Jahren über Kontaminationen und Grenzwertüberschreitungen Kenntnis zu haben. Nachdem das ARD-Magazin Plus- Minus am Dienstag berichtete, daß BfS-Mitarbeiter gemeinsam mit den Atombehälterherstellern an Kontaminationsproblemen arbeiten, erklärte das BfS gestern gegenüber der taz, nur „Beratungen“ geleistet zu haben. Regelmäßige Grenzwertüberschreitungen seien nicht erörtert worden, obwohl Behälterkontaminationen seit Mitte der achtziger Jahre bekannt seien. Zu einzelnen Fällen von Grenzwertüberschreitungen könnte sie sich nicht äußern, erklärte die BfS- Sprecherin Gabriele Vlcek. Denn schließlich sei nicht zu beanstanden, daß regelmäßig Verbesserungen an den Behältern vorgenommen wurden. rem/sen