Groovy, sexy und gnadenlos deutsch...

■ ... und dennoch überzeugte Rocko Schamoni im Lagerhaus, auch wenn er sich gerade eine Experimentierphase gönnt

Zwischen Größe und Grütze zu unterscheiden ist wohl die wichtigste Kernforderung an denjenigen, der als Gegenleistung zum erschmiegelten Eintritt über die Gästeliste ein Konzert zu besprechen hat. Aber dieser Aufgabe gerecht zu werden, war selten so knifflig wie am vergangenen Donnerstag, als Rocko Schamoni, der Hamburger König des postmodernen Soul-Schlagers, im gut gefüllten Lagerhaus gastierte.

Schamoni begann mit einer Lesung, an der sich schon die Geister schieden. Wie Klein-Rocko mit der Mamuschka, den Bollerwagen ziehend, eine verhasste Nachbarin traf und man sich gegenseitig die Augen ausstach: Das war der schwer verdauliche Inhalt eines opulent ausgeschmückten Textes, bei dem man sich zu Recht fragte, was denn diese skurrile Mischung aus autobiographischer Räuberpistole und russischem Epos nun sollte. Aber zum Glück kam Schamoni nach einer Textseite schnell zum Musizieren. Als Erstes brachte er eine so schmierige Disco-Nummer, dass Tom Jones dagegen wie eine ehrliche Haut und ein harter Arbeiter wirkt. Einhundert Prozent aufgesetzte Schamoni-Show also, aber sie funktionierte.

Die Begleitband war vorzüglich. Nicht nur optisch kamen sie – wegen der Strickjacken über den T-Shirts – wie Musikstudenten rüber, sondern genauso präzise spielten sie auch. Schamoni ist nach Jahren als vielgehasster Punkbarde auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Das war der Musik anzumerken. Die Band probierte und wagte alles – von Easy-Listening-Passagen über Soul, Disco und Funk hin zu langanhaltenden Fusion- und Jazz-Teilen. Nicht alles war so toll komponiert, dass richtig gute Songs aus den Stilübungen entstanden. Aber wenn der Wille zum Wagnis eine Qualität darstellt, dann gebührt Schamoni und Co. Respekt. Die Musikkenner im Publikum begeisterten vor allem die präzisen Bläsersätze von Trompeter und Saxophonisten. Seinen alten Hit „Du wählst CDU, deshalb mache ich mit dir Schluss“ münze er aus aktuellem Anlass um in: „Du wählst SPD, das ist auch nicht okay.“

Nachgespielt wurde reichlich, aber geschmackvoll. Vor allem obs-kure alte Soul-Scheiben scheint Schamoni in den hinteren Räumen seines Pudelclubs in Hamburg zu horten. Wenn etwa ein Stück von Sly & The Family Stone von den Seinen neu interpretiert wurde, dann war es keiner der Klassiker zum Mitwippen, die jeder irgendwoher kennt, und sei es nur aus einem Werbespot. Stattdessen gab es subtil groovende Stücke zu hören, die man ungefähr als drittes Lied auf der B-Seite einer alten Soul-Langspielplatte findet. Das spricht für Schamoni, der auch so grausam sein könnte, mit Blick auf den Party-Faktor rücksichtslos die Temptations in Form von „Vati war ein rollender Stein“ einzudeutschen. Deutsch sang er allerdings schon. Immer. Auch bei Disco-, Funk- und Soul- Nummern. Und das irritierte. Wo James Brown „I feel good“ schreit und dann nur noch wie ein Affe auf Speed stöhnt und jauchzt, blieb Schamoni kontrolliert, seine Stimme überschlug sich nie. Er agitierte gegen den Staat, machte intelligente Bemerkungen über Beziehungen und irgendwie biss sich diese Kopflastigkeit mit dem Groove.

Mit Grauen fiel einem da ein, dass doch auch Wolf Maahn gerade ein Soul-Album aufgenommen hat. Warum der Fall Schamoni dann doch anders gelagert war? Vor allem wegen Schamoni selbst. Der schaffte es mit sexy Hüftschwüngen und viel Geschnacke, das Publikum – so es denn den Saal nicht vorzeitig enttäuscht verlassen hatte – auf seine Seite zu ziehen. Bremen reichlich belobhudeln, (“Hier ist es so toll, ich glaube, wir ziehen hier hin“), andere Städte schlecht machen (“Ey, du bist wohl aus Braunschweig. Anders ist dein Verhalten nicht zu erklären“), das kam an. Glück für Rocko, dass keiner der Anwesenden seinen Hannover-Auftritt vor zwei Wochen miterlebt hatte, wo es Bremen war, das mit Schmutz beworfen wurde. Schamoni bewirkte, dass Spontanität, Herzlichkeit, Schrulligkeit und andere berufstypische Unehrlichkeiten plötzlich ehrlich wirkten. Er hat die Showstar-Rolle so vollkommen verinnerlicht, bis sie aufhört Rolle zu sein. Und er führt sie ad absurdum – durch hemmungslose Übertreibung.

Zumindest live ist Schamoni ganz klar eher groß als Grütze.

Lars Reppesgaard